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„Es klatschen zu viele“

■ Weltweit hat die Gewalt von Rostock Angst ausgelöst

„Ist Rostock der Anfang einer neuen Kette von rassistischen Gewalttaten?“ fragt die linksliberale Pariser Tageszeitung Libération in ihrer gestrigen Ausgabe. „Die Grundlagen des deutschen Staates stimmen nicht mehr“, stellen die Salzburger Nachrichten fest. „Der nächste Ausbruch ist nur eine Frage der Zeit“, zitiert der Londoner Guardian einen Experten.

Weltweit hat die Gewalt von Rostock Sorge und Angst ausgelöst. Viele Zeitungen haben eigene ReporterInnen nach Rostock geschickt. Ihre ausführlichen Reportagen schildern gut organisierte junge und ältere deutsche RassistInnen, eine johlende und applaudierende Nachbarschaft und eine hilflose Polizei. Noch nie war die rechtsradikale Szene in Deutschland nach 1945 so stark, ist sich die internationale Presse einig. Die Schuld für die Entwicklung zum Rechtsextremismus wird vor allem in der verfehlten Asylpolitik von Bundesregierung und Opposition gesucht. Erstaunt ziehen zahlreiche ausländische JournalistInnen aber auch mit ihren deutschen KollegInnen zu Gericht, die „über die vielen alltäglichen rassistischen Schikanen schon lange nicht mehr schreiben“.

Zugleich deuten KommentatorInnen auch Verständnis für den Unmut über die gegenwärtige Asylpolitik an. Die Deutschland angeblich in diesem Jahr ins Land stehende halbe Million Flüchtlinge, wird quer durch den internationalen Blätterwald immer wieder strapaziert.

Die meisten JournalistInnen beschränken sich auf Beschreibungen, mit Kommentaren halten sie sich zurück. Auch ausländische PolitikerInnen sind auf Tauchstation gegangen. Lediglich in Frankreich, das sich mitten im „Maastricht-Wahlkampf“ befindet, überschlagen sich Analysen und Einschätzungen. Dabei steht die Furcht vor einem neuen „Großdeutschland“ wieder einmal im Vordergrund. Die liberale französische Tageszeitung Le Monde schrieb gestern in einem Kommmentar auf ihrer ersten Seite, derartige neonazistische Krawalle können diese Angst nähren. „Ausländerfeindliche Krawalle oder gewalttätige Demonstrationen rechtsextremer Gruppen gibt es auch in Frankreich, in Großbritannien, in den Niederlanden und sogar in Schweden, aber wenn sie sich in Deutschland abspielen, lösen sie — aus offensichtlichen historischen Gründen — sofort eine sehr viel größere Unruhe aus.“ Auch das Maastricht-Referendum am 20.September könnte durch Rostock beeinflußt werden, wenn es die GegnerInnen der Europäischen Union als Schreckgespenst an die Wand malten, mahnt Le Monde.

In Österreich schrieb die Grazer Kleine Zeitung gestern, das Auftreten der jugendlichen Neonazis sei für sich genommen noch kein Anlaß zur Sorge. „Aber es klatschen zu viele“.

Einen „neuen alarmierenden politischen Gesichtspunkt“ macht die linksgerichtete italienische Zeitung L'Unit in Rostock aus. Die Zeitung der ehemals kommunistischen Demokratischen Partei der Linken (PDS) schreibt in einem Kommentar auf der ersten Seite, die rassistischen Tendenzen würden weiter zunehmen, wenn die Extremisten von den BürgerInnen unterstützt würden.

In den USA berichten die großen Zeitungen auf ihren Nachrichtenseiten über die Vertreibung der Asylbewerber aus Rostock. Dabei wird besonders auf Sprechchöre wie „Sieg Heil“ und „Deutschland den Deutschen“ hingewiesen.

Einen Appell an die Vernunft versucht die antirassistische französische Organisation „SOS-Racisme“. Sie erinnerte die BürgerInnen der ehemaligen DDR an ihre jüngere Geschichte. „Vor drei Jahren haben sie unter dem Applaus aller Demokraten die Mauer in Berlin eingerissen und sich dem freien Europa angeschlossen. Heute müssen sie daher die Regeln des Rechtsstaates akzeptieren. Das heißt auch, daß man die Fragen der Einwanderung und des Asylrechts nicht mit Steinwürfen lösen kann, sondern nur mit Gesetzen und unter Achtung der internationalen Vereinbarungen und der Menschenrechte.“

Weniger behutsam will der britische Labourpolitiker Alan Donnelly mit den RassistInnen umgehen. Er schlug gestern europäische Umerziehungsmaßnahmen zur Demokratisierung Ostdeutschlands vor. Dorothea Hahn

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