: Kapitulation als einzige Möglichkeit-betr.: "Die deutsche Lesart" von Peter Glotz", taz vom 22.8.92
Betr.: „Die deutsche Lesart“ von Peter Glotz, taz vom 22.8.92
[...] Die Kritik an der Gleichschaltung der Presse trifft die taz selbst — hier scheint den AlternativblattmacherInnen wohl was zu dämmern. Als die taz sich — zeitlich eher früher als der von Glotz inkriminierte FAZ- Reißmüller — zur publizistischen Speerspitze einer kriegseskalierenden deutschen Anerkennungspolitik hinsichtlich Kroatiens und Sloweniens machte, kämpfte Glotz mit Verheugen noch gegen die Zustimmung zur Bundestagsresolution vom 14.11.91, in der die Regierungskoalition, die SPD und Grüne/Bündnis90 die Regierung schließlich aufforderten, möglichst schnell Slowenien und Kroatien anzuerkennen (Glotz unterlag der Gansel-Fraktion nur knapp). Eine vergleichbare Diskussion hatte es — unter anderem mangels Osteuropa- und friedenspolitischer Kompetenz — in den anderen Fraktionen gar nicht gegeben. [...]
Verblüffend ist, da kann ich Glotz nur beipflichten, daß in der deutschen Presselandschaft beispielsweise keine kontroverse Debatte über die deutsche Außenpolitik, im konkreten über die „Anerkennungspolitik“, geführt wurde. Dabei mußte doch jeder/m, der/die eins und eins zusammenzählen kann, spätestens nach der Intervention der jugoslawischen Armee in Slowenien (27.6. bis 18.7.91) klar sein, daß die Serben die einseitige Sezession Kroatiens nicht hinnehmen würden. Es mußte ebenso klar sein, daß die „Anerkennungspolitik“ die Interessen der Serben in Kroatien ignorierte, und daß alles zusammengenommen die Unterstützung der Sezession den Krieg eskalieren mußte. Der deutschen Außenpolitik kann man dabei noch Machtpolitik unterstellen (schließlich profitiert sie vom Krieg in Ex-Jugoslawien sowohl durch Erweiterung ihrer Einflußbereiche als auch durch die Trittbrett- Diskussion einer Ausweitung der Bundeswehreinsätze) — allen anderen nur Dummheit. In Bosnien-Herzegowina wiederholte sich die kriegseskalierende Wirkung der „Anerkennungspolitik“ in fataler Weise: Noch bevor die EG-Vermittlungen über einen Interessenausgleich beendet waren, erkannte die EG am 6.4.92 Bosnien-Herzegowina an. Folge war das v.a. von den Serben für diesen Fall schon Monate zuvor angekündigte Blutbad.
Unter friedenspolitischen Gesichtspunkten war bei der politischen Interessenslage in Verbindung mit den militärischen Kräfteverhältnissen in Kroatien die Kapitulation die einzige Möglichkeit, ein Gemetzel zu verhindern (und ist sie m.M.n. auch heute noch in Bosnien-Herzegowina). In Kroatien würden in diesem Fall, nicht anders als heute (mit Krieg), die Serben die Krajina und Teile Slawoniens besetzt halten — aber Tausende von Menschen könnten noch leben. Für den noch viel komplizierteren Fall Bosnien-Herzegowina hätte eine solche Lösung ganz andere Signalwirkung gehabt. Die Anerkennung durch die EG war das Ende Bosnien-Herzegowinas. Es ist zu befürchten, daß die Weigerung Izetbegovics zu kapitulieren auch das Ende der Moslems bedeutet.
Eine Kapitulation, die erst mal nur erreichen kann, daß das Gemetzel beendet wird, ist natürlich keine Lösung für den Konflikt auf dem Balkan. Aber eine Kapitulation bedeutet ja auch nicht das Ende der Geschichte und der Politik. Das Argument, man dürfe den Serben nicht nachgeben, ist nur zynisch: Hier werden Kriterien klassischer staatlicher Machtpolitik vor eine Friedenspolitik, deren erste Aufgabe immer der Erhalt von Menschenleben sein muß, vorgezogen. Da es sich, wie Augstein richtig bemerkte, strukturell eher um einen Konflikt des 19. Jahrhunderts handelt, wird die Konfrontation des Territorialprinzips mit dem real existierenden Nationalismus in Osteuropa (wenn sie so unvermittelt geschieht, wie dies die Deutschen gegenüber Kroatien praktiziert haben) immer wieder zu Kriegen führen. Eine Friedenspolitik muß daher mit solchen Regeln unserer „Zivilisationsgesellschaft“ (die grundsätzlich sinnvoll sind; schließlich will niemand den völligen Rückfall in den staatlichen Darwinismus oder eine Legitimation beispielsweise für weitere deutsche Okkupationsgelüste nach Osten) im Hinblick auf eine Konfliktlösung v.a. auf dem Balkan flexibel umgehen können. [...] So ist zu hoffen, daß Glotz' Beitrag dazu führt, das Spektrum der Debatte zu erweitern. Hans-Peter Hubert, West-Berlin
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