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Ein Teufelskreis ohne Ausweg

■ Episoden aus der norddeutschen Rechtswirklichkeit: Ein kurdischer Asylbewerber, der in eine Drogensache geschlittert ist, hat hier kaum eine Chance

: Ein kurdischer Asylbewerber, der in eine Drogensache geschlittert ist, hat hier kaum eine Chance

Orhan ist Kurde, 20 Jahre alt, und wird in seiner Heimat von den türkischen Besatzern bedroht. 1991 floh er in die BRD. Nachdem er einige Tage hier war, kam er mit der Sozialhilfe nicht zurecht. Alles war für ihn neu. Da lief er einigen türkischen Landsleuten in St. Pauli in die Arme. Die gaben ihm ein paar Beutel mit hellbraunem Pulver und erklärten ihm, wenn er dieses „Gift“ verkaufe, könne er einen guten Schnitt machen.

Orhan ließ sich darauf ein. Sein Pech war jedoch, daß er gleich mit dem ersten Beutel einer Zivi- Streife in die Arme lief. Das braune Pulver war natürlich Heroin, und da Orhan erkennbar nicht abhängig ist, war er ab diesem Moment natürlich ein Dealer. Er kam sofort in Untersuchungshaft — für mehrere Monate, da für ihn ohne festen Wohnsitz und ohne soziale Bindungen in der BRD eine Haftverschonung selbstverständlich nicht in Frage kam. Zwar hatte er bereits acht Monate abgesessen, jedoch war der gütige Richter der Meinung, daß aus erzieherischen Gründen noch weitere sechs Monate Knast nötig seien. Orhans Anwalt legte gegen dieses Urteil sofort Berufung ein. Selbstverständlich blieb Orhan weiter im Knast. Er hat ja auch weiterhin keine sozialen Bindungen in Hamburg.

Andere Leute im Knast erzählten ihm, daß es die Möglichkeit gibt,

1nach dem Absitzen von zwei Dritteln der Gesamtstrafe auf Bewährung entlassen zu werden. Dies wäre im Oktober der Fall. Orhan geht jedoch davon aus, daß die Berufung das ungerechte Urteil des Amtsgerichts korrigieren wird. Schließlich kommt vom Landgericht auch die Ladung zur Berufungsverhandlung — allerdings für November, also einen Monat nach dem Ende der Gesamthaft. Als der Anwalt von Orhan sich beschweren will, erfährt er, daß Orhan am gleichen Tage wegen der späten Berufungsverhandlung auf Bewährung entlassen worden ist.

Orhan ist mit der ganzen Sache zufrieden. Sein Anwalt hat jedoch Bedenken, denn Orhans Asylantrag ist inzwischen endgültig abgelehnt. Auch der Kurden-Erlaß, nach dem Kurden zur Zeit nicht abgeschoben werden, gilt für ihn nicht: Denn der findet keine Anwendung für Kurden, die irgendwann mal irgendwas mit Rauschgift zu tun gehabt haben. So bestimmt es der Hackmann-Erlaß. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Leute verurteilt oder nur angeklagt oder nur aufgegriffen wurden. Eine Nachfrage bei der Ausländerbehörde ergibt, daß Orhan es nicht einmal riskieren kann, seine abgelaufene Duldung verlängern zu lassen. Denn für die Ausländerbehörde ist eine noch ausstehende Berufungsverhandlung kein Grund für die Erteilung einer Aufenthaltsduldung.

Orhan muß damit rechnen, daß er in der Ausländerbehörde gleich verhaftet und in Abschiebehaft genommen wird, wenn er seinen Status legalisieren lassen will. Also kann er nicht dorthin gehen. Dadurch kann er aber auch seiner Bewährungsauflage nicht nachkommen. Er muß sich nämlich jede Woche auf einem Polizeirevier in Hamburg melden. So hat das Landgericht es verfügt. Wenn er jedoch ohne gültige Duldung dort erscheint, würde er vermutlich gleich festgehalten. In diesem Fall würde er dann sofort den freundlichen Herren von der Ausländerbehörde übergeben. Und die Abschiebeabteilung der Ausländerbehörde ist so gütig, daß sie Orhan mit Sicherheit erst auf dem Flughafen von Istanbul wieder losläßt.

Hier hilft auch kein anwaltlicher Rat mehr. Wenn Orhan hierbleiben will, muß er sich verstecken. Wenn er sich bis zur nächsten Woche nicht bei der Polizei gemeldet hat, wird er zusätzlich zur Fahndung ausgeschrieben. Orhans Chancen stehen schlecht. Aber das ist wohl politisch so gewollt. Justus

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