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Geilheit und tumbe Frömmelei

■ Ein Historienspiel zur Hexenverbrennung

Bezichtigt der Hexerei, wird die 26jährige Agnes Weiß in den Schongauer Faulturm geworfen. Man schreibt das Jahr des Herrn 1592. Aus dem Kerker heraus wird ihr der Prozeß gemacht. Sie hat nicht die geringste Chance. Wie zahllose andere Frauen des bayerischen Pfaffenwinkels wird sie verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

400 Jahre später wird der Prozeß gegen die Schongauer Magd erneut aufgerollt. Anhand der fast lückenlos archivierten Prozeßakten hat Herbert Rosendorfer das Schicksal der Agnes Weiß nachgezeichnet und als Historienspiel auf die Bühne gebracht. Täglich, bis Ende August, wird auf dem Marktplatz Gericht gehalten, brennt auf einem überdimensionalen Scheiterhaufen die „Hexe von Schongau“.

Autor Herbert Rosendorfer, gleichwohl selbst gelernter Jurist, geht es weniger um eine buchstabengetreue Wiedergbe des Schongauer Prozeßgeschehens. Vielmehr spürt man sein Anliegen, auch die komplexen gesellschaftlichen Zusammenhänge auszuleuchten, die den Hexenwahn des ausgehenden Mittelalters ermöglichten und bedingten. Leider bleibt er aber dann doch in einer eher vordergründig-psychologischen Motivbeschreibung der einzelnen Handelnden stecken. Da geht es um Habgier, um Geilheit (um die vor allem!), um tumbe Frömmelei, um Machtbesessenheit und Eifersucht, um die Suche nach Sündenböcken, die das eigene Versagen kaschieren. Obgleich derlei Motive vielleicht wirklich entscheidend waren, hätte die Inszenierung auch die gesellschaftlich relevanten Fragen deutlich stellen sollen: Warum waren es in erster Linie Frauen, die der Hexenverfolgung zum Opfer fielen? Welche Frauen waren das? Und: Was war das Interesse von Staat und Kirche an der systematischen Verfolgung dieser Frauen? Auch die kleine Begleitausstellung im Schongauer Stadtmuseum gibt hier nur unzureichend Auskunft.

Die Schongauer Inszenierung ist eben „Historienspiel“, eine Touristenattraktion mit unbestreitbarer Affinität zum Bauerntheater. Allerdings artet sie an keiner Stelle ins Spektakuläre oder gar Derbe aus. Regisseur Peter Grassinger war sich sehr wohl der Ernsthaftigkeit des Themas bewußt. Die Rollen des Pfarrers, des Hexenbeschauers, des Landrichters sind exzellent besetzt; Agnes Weiß wird überzeugend von der Münchner Schauspielerin Susi Brantl dargestellt. Zahlreiche Laien- Schauspieler aus Schongau und Umgebung verkörpern das gemeine Volk. Diesem gönnte der Rosendorfer-Text nach der Hinrichtung Freibier: „Die Hexe brennt, die Leute feiern — und christ-katholisch bleibt's in Bayern.“ Regisseur Grassinger schrieb — weshalb, ließ sich nicht klären — diese Schlußszene um: Anstatt zu feiern, wird von einem Büßerchor ein Klagelied angestimmt. Colin Goldner

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