: Altmodisches Rock-Entertainment
Public Enemy und die Beastie Boys spielten in Berlin ■ Von Thomas Winkler
Es drängen sich Gymnasiasten mit Baseballkäppies, Wilmersdorfer Kinder in Kapuzenpullis, Lehrlinge aus Berlin-Rudow mit nackten Oberkörpern und vereinzelte GIs, die unter Umständen als „homeboys“ durchgehen würden. Auch wenige Päarchen sind hier, aber offensichtlich ist dies Jungsmusik. Das Gold an Fingern und Hälsen ist sehr, sehr selten geworden, und das wenige wird anlaufen ob der Hitze und des Schweißes und der praktisch nicht funktionierenden Belüftung.
Von der Bühne kommt ein Wahnsinnsmörderböllerkrach mit drei sich überschlagenden, sich das Wort nehmenden hysterischen Stimmen. Auf der Bühne springen die Beastie Boys wie Flummis immer auf und nieder zu ihren eigenen schweren Beats. Nach den ersten drei Stücken wechseln sie vom Mikro zu den Instrumenten und spielen sie ganz so, wie man es von ehemaligen Punks, die zwischenzeitlich zu Rappern mutierten und dann ihre Vergangenheit wiederentdeckten, erwarten darf. Schlampig hingerotzter Kinderfunk und lahmarschiger Uraltpunk. Auch als sie das Handwerk wieder aufgeben, rettet das nichts. Als sie von der Bühne gehen, bleibt das Publikum totenstill und möchte keine Zugabe.
Eiligst wird das irgendwie deplaziert wirkende Rockequipment von der Bühne geschafft und durch einen einzigen, schlichten und schwarz verkleideten Turm ersetzt, der zwei Plattenspieler trägt. Dann marschieren die Bodyguard-Darsteller ein. Sie tragen dezente grüne, fast maoistische Uniformen und rote Barretts. Drei stellen sich links, drei rechts auf der Bühne auf, schließen die Hände vor der Scham und werfen die typischen Leibwächter-Blicke ins Publikum. Zwei von ihnen tragen Pilotenmikros, legen hin und wieder eine Hand ans Ohr und sprechen hinein. Ganz so, wie man es vom Fernsehen kennt — gleich kommt der Präsident.
Dann endlich auch sind Public Enemy da. Keine Ansprache, kein Gruß, erstes Stück: „Public Enemy No.1“ in all seiner Doppeldeutigkeit. Flavor Flav mimt den Clown in schreiend bunten Trainingsanzügen, die er schon nach dem ersten Stück wechselt. DJ Terminator X einfach stoisch mit Sonnenbrille hinter seinen Turntables und Chuck D im schlichten schwarzen Einteiler. Wäre die Privatarmee nicht, die Show von Public Enemy wäre nicht zu unterscheiden von jedem anderem klassischen HipHop-Auftritt.
Kaum hat's angefangen, finden schon die ersten Animationsbemühungen statt, muß das Publikum antworten: „Where are you from“ — „Berlin“. Es tut es gerne, dann tanzt es wieder, dann muß es wieder mitsingen oder antworten. Ganz altmodisches Rock-Entertainment. Erhobene Zeigefinger und viele Fäuste werden rhythmisch in den Himmel gereckt, während die gewaltigen Bässe einen rückwärts an die Wand drücken. Bei „Fight The Power“ setzt ein gewaltiges Wogen ein, die „Krauts with Attitude“ treten sich vor Begeisterung gegenseitig die Füße platt. Danach folgt dann endlich die unvermeidliche politische Ansage. Chuck D erzählt über „East and West“ und daß „Germany“ ja nun nicht mehr geteilt ist, daß Menschen sich nicht unterdrücken lassen sollen. Doch die Botschaft geht unter, kann gar nicht erst transportiert werden, denn dies hier ist nicht Brooklyn, und kaum einer versteht, was er sagt. Erkennbar ist nur, daß jedes zweite Wort „motherfucking“ ist. Wenn er eine Pause macht, dann johlen die Menschen, weil es von ihnen erwartet wird und weil Public Enemy a priori politisch korrekt sind. Nur einige brüllen „Scheiße“ und der blonde Punk mit dem „Slime“-Schriftzug auf der Jacke vor mir (Was macht der hier?) wiegt bedächtig seinen Kopf zur Seite. Von da an wird's zäh, die Belehrungspausen zwischen den Stücken immer länger, und selbst die Bodyguards verdrückten sich schon zur Mitte des Konzertes teilweise von der Bühne.
Aber die Beats sind gut, deswegen sind die Leute da und weil sie „Fight The Power“ aus dem Spike-Lee- Film „Do The Right Thing“ kennen. Deshalb werden die nackten Oberkörper immer mehr, deswegen wird die Stimmung absurderweise dann immer friedlicher und deshalb tanzen alle so lange, bis man durch schlichtes Einatmen seinen Mineralsalz-Haushalt regeln kann.
Weitere Konzerte: heute in Erlangen, Stadthalle; 1.9. Köln, Live Music House; 2.9. München, Circus Krone
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