: Pogrom zwischendurch
■ „heute“ kommentiert, Dienstag, ZDF, 19 Uhr
Die „heute“-Sendung des ZDF präsentiert die Bilder vom brennenden Asylbewerberheim in Rostock. Schnitt. Den Kommentar spricht Peter Voß persönlich, Leiter der Hauptabteilung Aktuelles und stellvertretender Chefredakteur des ZDF: „Wir alle rufen nach Toleranz. Ganz leicht tut sich damit, wer in den besseren Wohnlagen zu Hause ist — wer nicht fürchten muß, daß etwa der eigene Vorgarten zur öffentlichen Bedürfnisanstalt wird.“ Peter Voß weiß, wovon er spricht. Er hat es leicht, Toleranz zu üben. Er muß niemanden mit Molotowcocktails, Steinplatten und Eisenstangen aus seinen Oleanderbüschen vertreiben. Toleranz ist eben Luxus. Was aber soll die arme Masse tun, die mit dem Schmutz der ganzen Welt konfrontiert ist? Die sauberen Skinheads etwa, die „Fidschis klatschen“, weil überall leere Zigarettenschachteln herumliegen? Die braven Bürgersöhnchen, an der Metaphysik von Kernseife und Meister Propper geschult, die ihre Muttis und Pappis rächen für all den Dreck, der ihnen angetan wird? Und die ordnungsliebenden Nachbarn, die plötzlich, weil nichts anderes mehr hilft, „Feuer und Flamme für diesen Staat“ empfehlen? Was Domestos gegen die WC- Verstopfung, das ist der Skinhead gegen die Asylantenschwemme.
„Alle reden von Schande, weil schändliche Bilder aus Deutschland um die Welt gehen. Doch ist Fremdenhaß nur ein deutsches Problem?“ Nein, nein und nochmals nein. Es ist ein globales Phänomen. Und: „Mit Nazitum hat das wenig zu tun. Wer sich den braunen Schuh trotzdem anzieht, tut damit nur ein paar verwirrten Neonazis einen Gefallen.“ Die paar hundert „Sieg heil“-Rufer, die mit Hakenkreuz und Reichskriegsflagge „Deutschland den Deutschen“ zurückerkämpfen wollen und die gesamte Polizei eines Bundeslandes wie die ängstliche Schupo-Riege einer Bananenrepublik aussehen lassen, können Peter Voß nicht auf die falsche Fährte locken. Denn auch die Politik trifft keine Schuld: „Zu glauben, die Politik könne alles leisten und alle Probleme auf einmal lösen, ist ein Aberglaube.“ Keine Rede kann davon sein, daß der Schweriner Innenminister Kupfer und die halbe Stadtverwaltung in Rostock in die Verbannung nach Entenhausen gehören und die Einsatzleitung der Sicherheitskräfte erst einmal mit den Grundsätzen von Verfassung und Polizeigesetz vertraut gemacht werden müßte. Gewiß, die Polizei hat „Fehler gemacht, wie anderswo auch schon, schwere Fehler“. Aber im Osten tut sie sich eben besonders schwer „mit der Balance zwischen Untätigkeit und Überreaktion“. Daß dieser ätherische Schwebezustand beinahe in Beihilfe zum mehrfachen Totschlag umgeschlagen wäre, kann Voß letztlich nur in seiner Einsicht bestärken, daß „das Elend dieser Welt“ sich „eben nicht lösen läßt, indem man Deutschland zum Aufnahmelager macht für alle, die in Not sind“. Die Lektion hat gewirkt. Das ZDF — Ihr Programm. Für den kleinen Pogrom zwischendurch. Reinhard Mohr
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