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Konkreter Pazifismus statt prinzipieller Gewaltbereitschaft

Betr.: dito

[...] Sicher scheint es zu dem jetzigen Zeitpunkt eine einfache und schnelle Lösung zu sein, nach Jugoslawien Truppen zu schicken, die den „bösen“ Truppen dort die Waffen aus den Händen nehmen, so wie es auch der Papst neulich erst gefordert hat. Nur werden die Waffen nicht freiwillig an die einmarschierenden Truppen übergeben. Es wird noch mehr Tote geben, auf allen Seiten. [...]

Es handelt sich bei der von den Autoren geforderten Gewaltlösung um das übliche Verhalten von Machteliten. Drei Aspekte möchte ich dabei hervorheben.

1.Diejenigen, die einen Einmarsch bewaffneter Truppen nach Jugoslawien fordern, zwingen diese Soldaten, andere Menschen zu töten, ohne daß diese Soldaten selbst angegriffen worden sind. Die Soldaten sollen für die Interessen anderer töten und sich töten lassen. Diejenigen, die den Einmarsch fordern, wollen nicht selbst töten. Nicht anders haben es schon immer die Mächtigen gemacht.

2.Nun wollen auch einige Politiker der Grünen an der Etablierung einer neuen Weltordnung mitarbeiten, einer Weltordnung, bei der die USA mit Unterstützung anderer Industrieländer über das Schicksal der Erde und ihrer Bewohner bestimmen.

3.Die geforderten oder in Kuwait durchgeführten militärischen Einsätze in unserer Zeit des Neokolonialismus sollen dem Weltfrieden dienen. Was das jedoch ist, definieren eben die Industrieländer, genauer die Führungseliten dieser Länder. Im Kolonialismus zierten sich die Kolonialmächte noch nicht so in der Wahl ihrer Begriffe und nannten solche Militäraktionen Strafexpeditionen. Genau das ist es, was hier für Jugoslawien gefordert wird. [...] Jens Niemann, Hamburg

Die Grünen Roth/Lippelt dienen mit ihrem Faschismus-Vorwurf und dem Ruf nach Krieg weder dem Frieden im ehemaligen Jugoslawien, noch bieten sie reale Lösungen an. Es geht scheinbar eher um die Instrumentalisierung eines Konflikts, um endlich bei den Grünen auch in Kriegesfragen realpolitisch zu werden.

[...] Wenn man einmal von der Frage absieht, ob der Faschismus- Vorwurf an Belgrad stimmt, müssen sich Roth/Lippelt und andere „Bellizisten“ die Frage gefallen lassen, wieso ihnen der Charakter des Regimes erst jetzt auffällt. Seit Jahren wird von der serbischen Regierung die albanische Bevölkerung des Kosovos mit nacktem Terror unterdrückt. Kaum jemand in Jugoslawien setzte sich für die Unterdrückten ein, Politiker und Intellektuelle in Kroatien oder Slowenien kümmerten sich kaum um dieses Problem, was sie mit Politikern bei uns eint. [...]

Wichtig wäre gewesen, wenn die Polittouristen mitteilen würden, was die Friedensbewegten und Oppositionellen in Belgrad zu einem militärischen Eingreifen sagen — aber Fehlanzeige. Daß mit diesen Äußerungen der Grünen die Diktatoren in Belgrad eine Handhabe gegen die Opposition haben, scheint Roth/Lippelt völlig entgangen zu sein und die Gefahr, in die sie ihre Gesprächspartner gebracht haben könnten. Für militärische Phantastereien á la „polizeiliche“ Maßnahmen, hätte man auch am heimischen Sandkasten bleiben können. [...] Philippe Ressing, Hamburg

Nun wollen also nicht nur die Väter ihre Söhne in den Tod schicken, sondern auch die Schwestern ihre Brüder. Ich erwarte jetzt, daß Frau Roth an der Spitze einer Frauendivision in Jugoslawien einmarschiert, um gegen den Faschismus zu kämpfen.

Oder war das so gedacht, daß beim Sterben die Quotierung nicht gilt? Die logische Konsequenz für die Grünen: Frauen zur Bundeswehr, aber bitteschön in kämpfende Einheiten. Peter Myrda, Ex-Zeitsoldat und Kriegsdienstverweigerer

Die Gewaltexzesse, die nun nicht mehr weit hinten in der Türkei beziehungsweise am Golf, sondern im nahen Bosnien toben, haben den Pazifismus der Grünen vor eine schwere Belastungsprobe gestellt. Die innergrüne Auseinandersetzung, die jetzt von Helmut Lippelt und Claudia Roth forciert wurde, halte ich daher für überfällig und notwendig.

[...] Keine Frage, daß derartige Gewaltexzesse — egal wo — unerträglich sind. Keine Frage auch, daß — wenn schon unser Engagement gefordert ist — die Rettung der Menschen und die Erhaltung ihrer Menschenwürde an erster Stelle stehen muß.

Daß militärische Gewalt (Waffen für Bosnien, Luftangriffe auf Artilleriestellungen, militärische Befreiung von Gefangenen aus Lagern etc.) die humanitäre Situation insgesamt zu verbessern in der Lage ist, bezweifeln wir aber. Zu bedenken sind auch die nichtintendierten Neben- und Folgewirkungen sowie die prinzipiellen Folgerungen, die sich aus der Bereitschaft zu Anwendung militärischer Gewalt ergeben: von der moralischen Infragestellung der Kriegsdienstverweigerung über die Duldung der Rüstungsproduktion bis hin zur Schwierigkeit, Interventionen eines Weltpolizisten à la USA zum Beispiel zur Durchsetzung von „freedom and democracy“ noch grundsätzlich etwas entgegensetzen zu können.

Was können „wir“ aus dem Ausland aber nun anstelle der „Symptombekämpfung“ und „Apparatemedizin“ (militärische Intervention) tatsächlich zur „Schmerzlinderung“ (das heißt Eindämmung der Gewaltexzesse) und zur „Selbstheilung“ (das heißt dauerhafte Konfliktlösung durch die Konfliktparteien selbst) beitragen? Zuallererst müßten wir uns um die Rettung von Menschen bemühen. Offensichtlich bieten militärisch begleitete Hilfslieferungen in die Konfliktregionen dafür keine Lösung. Es klingt hart, aber die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus der Konfliktregion, das heißt das Dulden ihrer Vertreibung aus der Heimat, scheint im Moment die einzige humanitäre Lösung im Sinne der Rettung möglichst vieler Menschen zu sein. Statt der Entsendung westeuropäischer Soldaten wäre dann allerdings die — innenpolitisch für uns viellicht unangenehmere — Gewährung von Asyl für bosnische Flüchtlinge in Westeuropa erforderlich. Für eine gewisse Zeit hätten wir — ganz zu schweigen von den Betroffenen — zähneknirschend dieses Unrecht der Vertreibung zu ertragen, doch könnte die „internationale Gemeinschaft“ nach der Rettung der Zivilbevölkerung nichtmilitärische Druckmittel (Embargo u.ä.) einsetzen, um (wie im Falle Südafrikas) die „Faschisten“ oder Aggressoren zur „Vernunft“ zu bringen.

Einen solchen konkreten Pazifismus sollten die Grünen nicht gegen eine prinzipielle Gewaltbereitschaft eintauschen. Hartwig Hummel, Köln,

Bernhard Warkentin, Tübingen

[...] 1.Offensichtlich setzt der Kommentator [Jürgen Gottschlich] Gewaltfreiheit gleich mit einer mehr oder weniger passiven Haltung. Wer auf Gewaltfreiheit setzt, schließt gegenüber den Schrecken in Ex-Jugoslawien die Augen, wer mit militärischen Mitteln eingreifen will, tut etwas für die Kriegsopfer, so seine Grundaussage.

Allerdings nimmt richtig verstandene Gewaltfreiheit Konflikte nicht passiv hin. Vielmehr gehört dazu eine kämpferische Haltung, die Bereitschaft zum Widerstand gegen Unrecht. Sie geht zwar davon aus, daß Konflikte letztlich nur über Verhandlungen zu lösen sind. Aber im Gegensatz zu Gottschlichs Unterstellung ist dabei sonnenklar, daß der Verhandlungsweg oft verstellt ist. Gerade dann, wenn kein „hohes Maß an Rationalität und Bereitschaft zum Kompromiß“ (Gottschlich) vorherrscht, werden Mittel des gewaltfreien Kampfes eingesetzt. Mit ihnen soll möglichst ein Prozeß in Gang gesetzt werden, an dessen Ende Bedingungen für eine Verhandlungslösung hergestellt sein sollen. [...]

2.Wie verhält man sich zu Kriegen und seinen Opfern? Diese Frage ist nicht so neu, wie uns Jürgen Gottschlich glauben machen will. Denn es ist schlicht Geschichtsklitterung und entspringt vermutlich einer eurozentristischen Sichtweise, wenn der Autor behauptet, Kriege seien wieder führbar geworden und würden erst wieder geführt, „nachdem die eiserne Klammer des Kalten Krieges entfallen ist“. Nein, denn von 1945 bis zum Ende des Kalten Krieges gab es gerade einmal 26 Tage, an denen nicht irgendwo auf der Welt gekämpft wurde. Zählen die schätzungsweise mindestens 150 Kriege mit zig Millionen Toten nicht, nur weil sie etwas weiter von uns weg waren als jetzt? Und weil die Teilnahme von Bundeswehreinheiten damals noch tabu waren?

Folgte man der Logik von Jürgen Gottschlich, wäre der Einsatz für die Gewaltfreiheit also noch nie zu verantworten gewesen. Denn tagtäglich hätten wir uns mit der Frage konfrontieren müssen, wie wir uns zu den jeweils aktuellen Kriegen verhalten.

3.Ich gestehe, daß ich keine einfache Antwort habe, was kurzfristig zur wirksamen Unterstützung der Terroropfer in Bosnien gemacht werden kann. Es bleibt uns kaum mehr als humanitäre Hilfe für die vom Krieg betroffenen Menschen. Auf die Bundesregierung sollten wir einwirken, daß sie sich zumindest für die wirksame Umsetzung des gegen Rest-Jugoslawien verhängten Embargos einsetzt. Schließlich sollten wir die Opposition in Ex-Jugoslawien mit allen unseren Möglichkeiten (materiell und publizistisch) unterstützen. Gewiß nicht viel angesichts des Grauens!

Deshalb müssen unsere Bemühungen ebenso stark darauf hinauslaufen, daß in langfristiger Perspektive Kriege erst gar nicht mehr geführt werden. Konflikte dürfen nicht erst dann ins Blickfeld geraten, wenn sie zur militärischen Auseinandersetzung eskaliert sind. Es gilt ernsthaft Verfahren, Instrumente und Institutionen zu entwickeln und zu finanzieren, die mit nichtmilitärischen Mitteln, mit positiven und negativen Sanktionen und vor allem mit vorbeugender Krisenbearbeitung Konflikte unter Kontrolle bringen können. Rüstungsproduktion und Rüstungsexport müssen eingestellt werden. Hier müßte die Bundesrepublik nicht zuletzt aufgrund historischer Erfahrungen Verantwortung übernehmen. Statt dessen laufen die Bemühungen bundesdeutscher Politik wesentlich darauf hinaus, Voraussetzungen für internationale Einsätze der Bundeswehr zu schaffen. Michael Schmidt,

Friedensnetz Gammertingen

Bisher waren die Grünen sehr zurückhaltend mit ihren Vorschlägen zu den Auseinandersetzungen in Jugoslawien. Teutonisches Gedankengut ist hier nicht angebracht. Roth und Lippelt fordern notfalls militärischen Einsatz gegen die serbischen Faschisten. Forderungen, wie sie Genscher und Kinkel auch stellen.

[...] Die Aufgabe der Grünen kann nur sein, die Ideen M.Gandhis, M.L.Kings — notfalls die der Zeugen Jehovas — vor Ort zu verbreiten. Ich bin der Meinung, Aufklärung über Demokratie und Stärkung der Friedensbewegung vor Ort ist die Aufgabe der Grünen. Damit der Vorhang nicht wieder fällt und Mauern der Trennung errichtet werden. Auch nicht in den Köpfen! Ljubica Wortmann,

Hiddenhausen

Claudia Roth und Helmut Lippelt hatten in Jugoslawien das umgekehrte Damaskus-Erlebnis: vom fundierten Pazifismus zur Befürwortung militärischer Intervention. Mir fällt da Pfarrer Eppelmann ein. Sympatischer ist mir Paul Parin, der wenigstens zwei Augen hat und der differenziert von „faschistischen Strukturen“ in Serbien und Kroatien spricht; wofür es historische wie aktuelle Beweise gibt.

Was macht für Claudia Roth nun in ihrer sinnlichen Betrachtung den dortigen Faschismus aus? „Brutale archaische Männergewalt“! Ich will nicht darauf herumreiten, daß Faschismus keine unbedingt archaische Angelegenheit bedeutet, und will auch nicht auf das Beispiel der vielen Frauen verweisen, die in serbischen und anderen Reihen auf furchtbare Weise mitmorden. Wohl aber möchte ich fragen, ob diese spezifische Männergewalt nicht auch in El Salvador, in den Philippinen und in den Rängen der türkischen Armee vorhanden war und ist, wogegen aber dortige Befreiungsbewegungen nie Gewalt üben durften, weil das nach Auffassung grüner Pazifisten niemals ein angemessenes Mittel war, das überdies zum Scheitern verurteilt sei?

Das moralisch reizstarke Kippbild „Pazifismus/Gewalt“ ist auch im Falle Jugoslawiens sachlich unzutreffend: es wird hier nicht Friedfertigkeit zugunsten von bewaffneter Intervention aufgegeben, sondern verzichtet wird auf jegliche Art von angemessener Politik.

[...] Es muß klar sein, daß es keine wie auch immer geartete militärische Intervention geben kann, die aus sich heraus einen Weg für ein friedliches Zusammenleben auf der Basis gegenseitiger Garantien der regionalen Völker, Gruppen und Ethnien vorschreiben könnte.

Es darf nicht übersehen werden, daß gerade einseitige militärische Einflußnahme nur eine Wirkung haben wird: den Haß und die Zerstrittenheit dauerhaft ins historische Bild zu setzen. Selbst jene vielen Serbinnen und Serben, die kritisch sich zum Regime des Milosevic verhalten, werden sich dann angegriffen fühlen und letztlich auch nationalistisch reagieren. Deshalb ist Politik gefordert und nicht Luftwaffe und Invasion von Bodentruppen.

Natürlich aber können, da stimme ich Roth und Lippelt zu, Vernichtungslager nicht hingenommen werden, und auch nicht das Aushungern ganzer Bevölkerungsteile. Über mit Waffen geschützte Konvois der Vereinten Nationen ist ernsthaft und entschlossen nachzudenken. Viel beruhigter und zustimmender wäre ich in diesem Fall, käme es endlich zu der allseits geforderten Demokratisierung der Vereinten Nationen, die zunehmend unter den immer stärkeren und einseitigen Druck der großen Mächte geraten, statt wirklich neutral und unabhängig auch bewaffnet humanitär wirken zu können. Hans Branscheidt,

medico international,

Frankfurt am Main

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