: London: Täter und Opfer an einem Tisch
Auf Jugoslawienkonferenz soll „Aktionsprogramm“ verabschiedet werden/ Owen neuer EG-Vermittler ■ Aus London Christian Semler
„Ihr alle schmiedet Pläne. Auch Allah. Aber Allah ist der beste Planer.“ Diese auf internationale Konferenzen aller Art trefflich passende Koransure hält ein Grüppchen asiatischer Muslime hoch, das sich zur Unterstützung seiner bosnischen Glaubensbrüder vor dem Elisabeth II Conference Center eingefunden hat. Geschickt hat die Londoner Polizei die Anhänger der verschiedenen Bürgerkriegsparteien Ex-Jugoslawiens auf dem Platz zwischen der Westminister Abbey und dem abscheulichen Konferenzgebäude gruppiert. So finden sich die Serben, trotzig ihre Fahne schwenkend, auf einer Verkehrsinsel wieder, während die Kosovoalbaner, die Bosniaken und einige unablässig singende Buddhisten günstig an der Auffahrt für die Staatsleute postiert sind. Das bekommt vor allem Radovan Karadzic, der bosnische Serbenführer, zu spüren. Vom Trommelwirbel der Buddhisten untermaltes Protestgeschrei läßt den Potentaten freilich ebenso kalt wie die Bemerkung eines Journalisten: „Herr Karadzic, es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie ein Killer sind.“
Täter wie Opfer, Bösewichter wie Lichtgestalten, alle Protagonisten des jugoslawischen Dramas haben sich in London versammelt. Auch Milan Panic, seit sechs Wochen Ministerpräsident von Rumpf-Jugoslawien, durfte an der Beratung teilnehmen. Allerdings nur als Privatperson. Im Gegensatz zu Karadzic, der demonstrativ die Konferenz für einige Zeit verließ, weil ihm nur ein Beobachterstatus eingeräumt wurde, hielt sich der serbische Premier nicht lange bei völkerrechtlichen Prestige- Erwägungen auf. Mit dem Verzicht auf territoriale Ansprüche, der Bereitschaft, UNO-Kontrolleure zur Verhinderung von Waffentransfers an der serbisch-bosnischen Grenze zu dulden, und mit der emphatischen Verurteilung „ethnischer Säuberungen“ suchte er die Verurteilung der serbischen Seite durch die Konferenz zu unterlaufen. Bis spät in die Nacht zum Donnerstag verhandelte er mit dem amerikanischen Außenminister Eagleburger, um ihn von der Eigenständigkeit seiner Position gegenüber Milosevic, dem Präsidenten Serbiens, zu überzeugen. Milosevic seinerseits hatte am Mittwoch Angriffe der Franzosen, Kanadier, Österreicher und Kinkels, die ihn des Völkermords bezichtigen, regungslos über sich ergehen lassen.
Offenbar hat er auch keinen Grund zu Beunruhigung. Denn was John Major in seiner Eröffnungsansprache vorschlug, war hart im Ton, aber weich in der Sache. Die Konferenz soll eine Prinzipienerklärung annehmen, die die Unverletzlichkeit der Grenzen jeder Republik und Minderheitenschutz statuiert. In einem zweiten Dokument sollen praktische Schritte festgelegt werden — ein Aktionsprogramm. Organisatorisch soll ein Lenkungskomitee und hochrangig besetzte Ad-hoc-Gruppen die Beschlüsse der Konferenz auf den Weg bringen. Lord Carrington, der glücklose EG-Vermittler, ist bereits zurückgetreten. Sein Nachfolger soll David Owen heißen, ehemals Außenminister der Labour-Regierung.
Was soll in dem Aktionsprogramm stehen? Sicherlich eine Verschärfung des Embargos mit internationalen Inspektoren auch in Bulgarien und Rumänien. Ferner die Forderung nach sofortiger Auflösung aller Internierungslager. Zum dritten ein Beschluß, die Resolution 770 des UNO-Sicherheitsrates, „Schutz humanitärer Hilfe mit allen Mitteln“, zu verwirklichen. Major sprach von bewaffneten Konvois. Bis jetzt allerdings sind die Zusagen aus dem Kreis der Teilnehmerstaaten, Truppen bereitzustellen, nur zäh eingetroffen. Die Mindestzahl von 10.000 Mann für den Schutz von Konvois ist bei weitem nicht erreicht.
Genau diesen Umstand, die Unwilligkeit des Westens, wenigstens die Versorgung belagerter Städte Bosniens zu garantieren, nannte der Außenminister Bosnien-Herzegowinas „unerträglich“. Für ihn, den weltgewandten Historiker, der fließend in arabisch Auskunft gibt, begeht der Westen Verrat an seinen eigenen humanen Prinzipien. Auch das von Kinkel betriebene Projekt eines internationalen Gerichtshofs gegen Völkermorde kann ihn nicht trösten: „Wenn wir alle tot sind, wird es für die Gerechtigkeit zu spät sein.“
Unweit des Konferenzgebäudes, im traditionsgeschwängerten Liberalen Klub, hat ein Institut für Krieg und Frieden ein Gegenunternehmen zur Konferenz der Regierenden aufgezogen. Oppositionspolitiker aus allen Nachfolgerepubliken Jugoslawiens klagen hier die postkommunistischen Eliten ihrer Länder an. Laut denken sie über ein Leben nach dem Ende des Alptraums nach: Eine neue, auf dem Vorrang der Individualrechte und der kommunalen Selbstorganisation basierende Version des Minderheitenschutzes wird vorgestellt, man debattiert über die künftige Fassung des Staatsbürgerrechts, über einen gemeinsamen ökonomischen und kulturellen Raum jenseits der Republikgrenzen. Doch die Machtlosigkeit dieser sympathischen Veranstaltung ist offensichtlich. Nicht mehr als zwei Dutzend Menschen sitzen im Zuschauerraum. Die Schurken sind eben immer interessanter als die Engel.
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