: Kommunen verweigern sich den Asylbewerbern
■ Auch in Niedersachsen entsteht explosives Gemisch / Grüner Trittin als Buhmann der Gemeinden
In Aligse scheint die Welt wieder in Ordnung. Der 1 500-Seelen- Ort im Bereich der Stadt Lehrte nahe Hannover bekommt kein Flüchtlingsheim, braucht demnächst keine 75 Asylbewerber aufzunehmen. Die Proteste von Bürgern haben Wirkung gezeigt. Vertreter von CDU, SPD und Grünen beugten sich: Der wenige Tage zuvor gefällte Baubeschluß wurde widerrufen. Ein SPD-Politiker blieb bei seiner Meinung und enthielt sich. Es mache ihn betroffen, daß Befürworter des Flüchtlingsheims geradezu geächtet worden seien, sagte er in einer persönlichen Erklärung.
Aligse ist kein Einzelfall in Niedersachsen. Wie ein Flächenbrand verbreitet sich in Städten und Gemeinden eine Verweigerungshaltung gegen die Aufnahme von Asylbewerbern. Hier wie dort sind Kommunalpolitiker aller Parteien kaum noch in der Lage, Auseinandersetzungen um Asylbewerber durchzustehen. In vielen Kommunen gibt es seit Monaten ständig wachsende Probleme bei der Unterbringung. In Wolfsburg werden inzwischen Asylbewerber, die nicht über die Zentralen Anlaufstellen kommen, weggeschickt. Das Beispiel machte in vielen Städten und Kreisen Schule. Zuletzt zog die rot-grün regierte Stadt Osnabrück nach.
Für die Regierungskoalition von SPD und Grünen wird die Asylpolitik zu einer ernsten Belastung. Parteispitze auf Entlastung. Ministerpräsident Gerhard Schröder weiß noch nicht, ob die Koalition eine Abstimmung über die Grundgesetzänderung im Bundesrat übersteht. Sein Partner, Bundesratsminister Jürgen Trittin (Grüne), lehnt eine Einschränkung des Asylrechts ab. Problematisch in der aktuellen Auseinandersetzung mit den Kommunen ist Trittins harte Linie auch im öffentlichen Auftreten. Auch Grünen-intern wird inzwischen bemängelt, ihr Minister trage zu wenig zur Entspannung bei. Trittin ist in vielen Kommunen zum „Buhmann“ geworden.
Alle Parteiführungen, ob SPD, CDU, FDP oder auch Grüne spüren den Druck von ihren Kommunalpolitikern. Doch die Landespolitiker sind weit davon entfernt, an einem Strang zu ziehen. Die CDU im Landtag fordert die Grundgesetzänderung sowie eine Reihe konkreter Maßnahmen, schweigt in ihrem jüngsten Landtagsantrag aber zum immer größer werdenden Antragsstau beim Bundesamt für die Aufnahme von Flüchtlingen in Zirndorf. Allein in Niedersachsen warten mindestens 30.000 Asylbewerber wegen der Untätigkeit der Bundesverwaltung auf eine Entscheidung.
Der Druck im Lande wächst: Gegen Flüchtlinge habe niemand etwas, aber den „Asylmißbrauch“ sollen die Politiker in Hannover und Bonn endlich „abstellen“. Manche erregte Bürgeräußerung gegen die „Einfuhr von Asylanten“ klingt so, als ließen sich Flüchtlingsströme generell einfach abstellen. Bürger nehmen Anstoß an mitunter auch handgreiflich bettelnden Ausländern. Ob in Aligse oder anderswo: Unwissen, Vorurteile gegen Fremde und auch Ausländerfeindlichkeit mischen sich mit den realen Problemen bei der Unterbringung von Flüchtlingen und im Zusammenleben mit ihnen. Einig sind sich Politiker aller Couleur in einem: Verstärkt durch hausgemachte soziale Probleme etwa beim Wohnungsbau entsteht auch diesseits der Elbe ein explosives Gemisch. Andreas Möser/dpa
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