: Morgens um halb sechs ist die Welt noch in Ordnung
■ „Ferien auf dem Bauernhof“ mitten in Brasilien: Im Pantanal bieten Vieh-Farmen Unterkunft für Touristen
Morgens gegen halb sechs, kurz bevor die Sonne aufgeht, ist es vorbei mit der nächtlichen Ruhe. Ein dumpfes auf- und abschwellendes Grollen dringt aus dem nahen Wald herüber. Wenig später regt es sich in den Bäumen auf dem Hof: Die Vögel begrüßen den Tag mit einem tausendstimmigen Konzert.
Dann beginnt auf der Fazenda Santa Clara der Arbeitstag mit der Versorgung der Tiere: Die um diese Jahreszeit mageren Zebu- Kühe werden gemolken, das von seiner Mutter nicht angenommene Lamm auf einen Weideplatz geführt und großzügig angeleint, das kranke Kalb, das apathisch in einer Ecke liegt, bekommt die Flasche und Medizin. Seu Basílio, um die 60 und für die Fütterung zuständig, schüttet Essensreste auf eine in zwei Meter Höhe auf einem Pfahl befestigtes Blechschale und schlägt mit dem Löffel gegen das Metall. Aus allen Richtungen flattern Vögel zum Frühstück herbei und zanken sich um die besten Happen.
Diese frühmorgendliche Idylle spielt sich ab im brasilianischen Mato Grosso auf einer Rinderfarm. Bis zu 20 Besucher können auf der Fazenda Santa Clara in kleinen, einfachen Bungalows „Ferien auf dem Bauernhof“ machen. Santa Clara liegt im Pantanal, jenem immensen und kaum besiedelten Feuchtgebiet im Dreiländereck Brasilien, Bolivien und Paraguay und ist fast so groß wie die neue Bundesrepublik. Das Pantanal besteht aus ungefähr zehn Öko-Systemen, jeden der zahlreichen Flüsse umgibt sein eigenes, spezielles Biotop. Eine weitere Besonderheit: Um eine Sumpflandschaft handelt es sich genau genommen nur in der Regenzeit. In der Trockenzeit hingegen, vor allem im August und September, gleicht das Pantanal einer lichten staubigen Savanne, um deren nun seltenen Wasserstellen sich die Vögel in riesigen Gruppen drängen.
Wer Natur sucht und Tiere beobachten mag, ist hier allemal besser aufgehoben als etwa im undurchdringlichen AmazonasUrwald. Eine Onça — den brasilianischen Jaguar — wird man zwar auch hier nur mit viel Glück zu Gesicht bekommen. Aber dafür Strauße, weiße Reiher, Tuiuiús — eine Art Riesenstörche —, Tukane, Falken, Papageien, Wildschweine, Rehwild, die seltsamen Capivaras — große Nager, die aussehen wie überdimensionierte Meerschweinchen — und jede Menge Krokodile.
In den vergangenen Jahren ist immer wieder über die gnadenlose Wilderei an den „Jacarés“ im Pantanal berichtet worden. Zu Millionen werden sie abgeschossen und ihre Häute illegal ins Ausland transportiert. Seitdem die brasilianische Regierung die Waldpolizei etwas verstärkt hat und die Wilddiebe rigoros verfolgen läßt, haben sich die Krokodilbestände zumindest in den Randgebieten des Pantanal, die von den Beamten gut erreicht werden können, wieder erholt. Was sich weiter im Innern abspielt, haben aber auch sie nicht unter Kontrolle. Und so besteht ein Großteil der polizeilichen Arbeit in der Kontrolle der Angler, die von weither zu dem für seinen Fischreichtum berühmten Rio Miranda anreisen.
Die Fazenda Santa Clara ist eine von etwa ein Dutzend Farmen im Pantanal, deren Besitzer sich mittels schlichter bis luxuriöser Touristen-Unterkünfte einen Nebenverdienst verschaffen. Von offizieller Seite wird der Fremdenverkehr hier begrüßt. Gegenargument von Seiten der Naturschützer: Jeder Mensch zuviel stört das empfindliche Gleichgewicht der Region.
Die hier arbeiten, sehen das anders: Die Touristen durch die Umgebung zu führen, sie zum Angeln mitzunehmen oder mit ihnen auszureiten, dabei hier und da ein schönes Trinkgeld zu kassieren, ist ein wesentlich angenehmerer Job als harte Landarbeit, versichert Seu Basílio und streichelt das von ihm groß gezogene halbzahme Capivara-Pärchen. Claudia Hönck
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