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Standing Ovations

■ Die Deutsche Kammerphilharmonie spielt am Montag zum ersten Mal in Bremen

Das international renommierte Orchester „Deutsche Kammerphilharmonie“ aus Frankfurt kommt nach Bremen; die taz sprach mit Geschäftsführer Hannes Nimpuno, 32, über Basisdemokratie, Musikprofil und Wohnungssuche.

taz: Sie heißen ab sofort „Deutsche Kammerphilharmonie Bremen“ — ein besonderes Orchester!

Hannes Nimpuno: Ja! Wir sind eins der ersten basisdemokratisch selbstverwalteten Orchester, und das funktioniert nach 10 Jahren fantastisch, sogar weltweit am besten. Wir haben Vorträge gehalten darüber, vor Orchestermanagern aller Erdteile — das macht wirklich Schule!

Schule? Überall schafft man die Selbstverwaltung ab...

Absolut. Ich hab Angebote von amerikanischen Orchestern für ein Trainingsprogramm: wie können wir uns umstrukturieren? Natürlich gaht das nicht so einfach.

Wie ist Ihr musikalisches Profil?

Neue Wiener Schule, zeitgenössische Musik, Auftragskompositionen, Aufarbeiten der Wiener Klassik und Romantik in der neuen authentischen Spielweise. Wir wollen aber nicht Spezialisten für bestimmte Epochen werden, sondern wir suchen uns jeweils Spezialisten von außen für einen Bereich, Musiker, die mit uns forschen, Leute wie Gideon Kremer oder Walter Lewin. Das führt zu international anerkannten Resultaten.

Sie arbeiten zum Teil ohne Dirigenten...

Ja, wieder! Das entspringt der kammermusikalischen Tradi

Mann mit

Brille

Hannes Nimpuno F.: J.O.

tion; wir machen Atemübungen, trainieren Bewegungsabläufe, atmen zusammen, eben wie ein ideales Streichquartett, ohne Dirigent...

Mit 32 Musikern?

Ja. Beethovens Große Fuge ohne Dirigent, das macht uns kein Or

chester der Welt nach. Bestimmte Werke können wir gar nicht mehr mit Dirigent spielen, der stört, und zwischen Ouvertüre und Symphonie muß der Dirigent dann für ein Klavier- oder Cello- Konzert rausgehen, das steht sogar im Vertrag. Die guten Dirigenten, auch die sehr anerkannten, respektieren das.

Wie viele MusikerInnen kommen wann nach Bremen?

Bis Ende des Jahres kommen alle 32 Musiker, plus 6 Büroangestellte, zwei Familien sind schon da, drei ziehen gerade um, das Büro auch.

Wo bleiben Sie, bis Sie in die Böhmersche Villa ziehen?

Die Zwischenlösung heißt Büro an der Schlachte. Wir suchen Probesäle, vielleicht die Glocke, den Packhausboden, Use Akschen auf dem Ag-Weser-Gelände... Bis dahin proben wir in Frankfurt.

Wo werden Sie und Ihre Familien alle wohnen?

Verglichen mit Frankfurt ist das in Bremen gar nicht schwierig!

In Bremen gab es Wogen des Unwillens, weil für die Kammerphilharmonie plötzlich Geld da war — ist das ein schlechter Empfang?

Ich habe viel Schlimmeres erwartet, bei einem so beträchtlichen Investitionsvolumen muß ja Widerstand kommen. Mich hat gefreut, das nie an der musikalischen Qualität gezweifelt wurde.

Sie finden das Volumen beträchtlich??

Naja... Städtisch und staatlich subventonierte Orchester der Tarifgruppe C haben im Jahr 15 Milionen Subventionen und arbeiten auch nicht mehr als wir, und die reisen nicht mal. Wir bekommen 1,3 Millionen vom Senat und 450.000 von Sponsoren.

Reicht das?

Das geht nur, weil wir selbst 2,5 Millionen einspielen. Das ist weit entfernt von allen vergleichbaren Orchestern weltweit.

Am Montag spielen Sie nicht gerade Evergreens, sondern Harrison, Ives, Glass, Copland.

Ein amerikanisches Programm, das paßt zum Columbusjahr und zu Bremens „Aufbruch in die Fremde“. Wir haben es gestern in Frankfurt gespielt, vor rund 2.000 Gästen. Eine Bombenstimmung! Obwohl dieser amerikanische Minimalismus von vielen nicht akzeptiert wird, das ist wie Dadaismus. Gideon hat traumhaft gespielt! Das Programm ist speziell, aber wenn man drinsitzt und emotional weggeschwemmt wird — das kann ein breiteres Publikum erreichen. Das sind unbekannte Werke, viele kennen auch die Komponisten nicht, also ein Wagnis, aber nach dem Riesen- Erfolg vor dem eher unterkühlten Frankfurter Publikum — da gab es standing ovations!

Fragen: Susanne Paas

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