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Hoffnungsträger Panic

■ Ob der Londoner Jugoslawienkonferenz Erfolg beschieden ist, entscheidet sich in Belgrad

Hoffnungsträger Panic Ob der Londoner Jugoslawienkonferenz Erfolg beschieden ist, entscheidet sich in Belgrad

Ist mit den Londoner Beschlüssen irgendeine Chance verbunden, den serbischen Aggressionskrieg in Bosnien zu beenden und den Flüchtlingen die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen? Ginge es nur um den Chef der serbischen Bosnier, Karadzic, wäre die Frage schnell beantwortet. Es dauerte keine 24 Stunden, bis er von seinem schriftlichen Versprechen abrückte, das Feuer mit schweren Waffen auf Sarajewo einzustellen. Aber Karadzic wäre machtlos ohne seine Verbündeten und Gönner in Belgrad.

Milan Panic, Premier Rumpfjugoslawiens, weiß, daß die Hoffnungen der westlichen Politikerschar nun auf ihm ruhen — und er macht davon geschickt Gebrauch. Seine „12 Punkte“ sind im großen und ganzen identisch mit den Prinzipien, auf die sich die EG und die anderen internationalen Organisationen verständigt haben. Mehr noch: in kaum verhüllter Form greift er Milosevic, den Präsidenten Serbiens, als Provinzdemagogen an und zeiht ihn der Mitverantwortung für die jugoslawische Tragödie. Er droht mit dem Einsatz der jugoslawischen Armee, falls Milosevic sich seinem Kurs — Verzicht auf Gebietsansprüche, Anerkennung aller Nachfolgerepubliken Jugoslawiens in den Grenzen der Tito-Zeit — widersetzt.

Alles nur eine durchsichtige Scharade, um dem angeschlagenen Milosevic zu einer Atempause zu verhelfen? Schaut man genauer hin, so zeigt sich, daß Panic bei jeder konkreten Frage auf unverbindliche Gemeinplätze ausweicht. Ob er die Autonomie des Kosovo und der Wojwodina wiederherstellen will? Er wolle die Freiheit bringen, das sei wichtiger als die ausgeklügelten Verfassungsbestimmungen der Kommunisten. Ob er Izetbegovic als Präsidenten Bosnien-Herzegowinas anerkenne? Dann müsse der erst wirklich Präsident aller Volksgruppen sein, usw. Beim Wort genommen, verschwimmt der so sorgsam aufgebaute Gegensatz zu den großserbischen Parolen Milosevics.

Aber alle Theorien, die politische Auseinandersetzungen als abgekartetes Intrigenspiel begreifen, fallen ihren eigenen Voraussetzungen zum Opfer. Was auch immer für die Annahme vorgebracht werden kann, Panic sei nur eine Handpuppe des großen Spielers Milosevic, die Dynamik der politischen Auseinandersetzungen wird sie gegeneinander treiben. Sie stehen für unterschiedliche Interessen, für unterschiedliche — man verzeihe das Wort — Klassenpositionen. Beide sind im Kern Jugoslawisten, aber Panic hat begriffen, daß er die alten serbischen Eliten entmachten muß, wenn er sein Projekt der „Vereinigten Staaten des Balkan“ mit Erfolgsaussichten betreiben will. Deshalb läuft der Countdown, und die westlichen Staatsleute täten gut daran, die Position des „Amerikaners“ zu stärken. Sie haben sowieso keine andere Wahl. Christian Semler

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