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Polizei wollte Demo verhindern

■ Polizeikräfte aus Hamburg versuchten alles, um den Hamburg-Konvoi nicht nach Rostock gelangen zu lassen / Erst per einstweiliger Verfügung konnte die Polizei zur Aufhebung der Straßensperre und Kontrolle...

/ Erst per einstweiliger Verfügung konnte die Polizei zur Aufhebung der Straßensperren und Kontrollen gezwungen werden

Hamburger Polizisten waren zwar nicht in der Lage, zusammen mit ihren Rostocker Kollegen einen rechtsradikalen Brandbombenüberfall auf das Rostocker Flüchtlingsheim mit über 110 Vietnamesen zu unterbinden, jedoch in der Verhinderung von Demonstrationen scheinen „die Hamburger“ wahre Weltmeister zu sein: Nach dem Vorbild von Kleve, wo 1986 der Hamburger Konvoi im Verlauf der Anti-Atom-Demo gegen das Kraftwerk in Brokdorf aufgemischt worden war und über 100 Autos demoliert wurden, stoppte am Samstag Hamburger Polizei - unterstützt von den ebenfalls Kleve-erprobten Unnaer Sondereinsatzkommandos (SEK) - kurz vor Rostock den Hamburger Konvoi, kesselte ihn stundenlang ein.

Vor dem ausgebrannten Flüchtlingsheim an der Güstrower Straße haben sich an diesem Samstag bereits um kurz vor 13 Uhr Tausende versammelt. Ein Transparent am Supermarkt vor der demolierten Unterkunft wird entrollt. „Nazis werden vom Staat hofiert, Antifaschisten kriminalisiert.“ Getreu diesem Motto agiert zu diesem Zeitpunkt im 12 Kilometer entfernten Bad Doberan die Hamburger Bereitschaftspolizei (Bepos) und das Mobile Einsatzkommando (MEK). Just in dem Moment, als der Konvoi mit rund 2000 TeilnehmerInnnen das Ortszentrum passiert, kesseln die PolizistInnen in einer Blitzaktion die DemonstrantInnen ein. Nichts geht mehr. Auch eine geenterte Dampflok muß mitten auf dem Marktplatz stehenbleiben.

Die Polizei will mit ihrer Aktion eine Kontrolle sämtlicher Fahrzeuge erzwingen. Die Demonstrationsleitung lehnt dies ab. „Wir lassen uns nicht filzen.“ Es entwickeln sich langwierige Verhandlungen zwischen Demoleitung und Einsatzleitern. Über den NDR wird die Meldung verbreitet, die Polizei hätte 1000 Rechtsradikale bei Bad Doberan gestoppt, SEKs in Hubschraubern seien unterwegs die Versammlung zu zerschlagen.

Der Bonner PDS-Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi, der nach Bad Doberan geeilt ist, versucht zu vermitteln. Gegenüber der taz bezeichnet Gysi das polizeiliche Vorgehen als „Verfassungsbruch“, das „politisch und moralisch“ als verwerflich zu bezeichnen sei. Ein PDS- Vertreter eilt derweil zu einem Rostocker Gericht, um eine Einstweilige Verfügung gegen die Vorkontrollen zu erwirken.

Gegen 16 Uhr läßt sich die Polizei - zumindest scheinbar - auf Zugeständnisse ein. Begleitet von den Hamburger „Bepos“ solle der Demokonvoi nunmehr ohne Auflagen Bad Doberan Richtung Rostock verlassen dürfen. Aus dem Leitwagen hallt es: „Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei. Der Konvoi kann unkontrolliert passieren.“ Doch das Ganze sollte sich als massive Falle herausstellen. Die Einsatzführung will die Demonstranten lediglich aus der Ortschaft heraushaben, denn vor der in vier Kilometer entfernten Ortschaft Bargeshagen steht auf freiem Feld bereits das nächste Großaufgebot mit Wasserwerfern, Sondereinsatzkommandos und Greiftrupps bereit. Mit Hubschraubern wird auch das Hamburger MEK von Bad Doberan in diese Richtung verlegt.

Dennoch entschließt sich die Leitung des Hamburger Konvois, die Fahrt nach Bargeshausen zu wa-

1gen. Langsam setzt sich der Zug in Bewegung, an der Spitze der Wagen von Gregor Gysi. Unmittelbar vor der Ankunft des Hamburger Konvois machen sich die Polizisten gegenseitig heiß. Eine Einheit aus Essen, die gerade noch die Polizeisperre passiert: „Macht's gut Jungs, jetzt kommt die Hafenstraße!“ Doch die HafensträßlerInnen weilten derzeit unter den 20000 Demonstranten in Rostock.

Vor der Sperre kommt es nochmals zu Verhandlungen. Angesichts der Presse-Schar zeigt der Einsatzleiter Zurückhaltung. „Die Fahrzeuge können die Sperre langsam passieren, es werden nur Sichtkon-

1trollen durchgeführt. Nur bei konkreten Anhaltspunkten werden Autos durchsucht.“ Langsam rollen die ersten Fahrzeuge an behelmten BeamtInnen, Polizeischilden und Wasserwerfern vorbei. Plötzlich wird ein bereits am Anfang der Sperre kontrollierter Bus gestoppt. „Klappen auf“, so die barsche Aufforderung. Doch bevor es auch an anderen Fahrzeugen zu großangelegten Filzaktionen kommt, bekommt die Einsatzführung über Funk den Befehl zum Rückzug. Der Rostocker Richter hatte interveniert, die Maßnahmen als Eingriff in das Demonstrationsrecht für „rechtswidrig“ erklärt und die so-

1fortige Aufhebung der Vorkontrollen angeordnet. Um 17.30 Uhr konnte nun auch der Hamburger Konvoi - unkontrolliert - Bargeshausen passieren. Unter den Polizisten löst das Richtervotum Wut aus. Mit Worten wie „So'n Scheiß“ und „das darf doch nicht wahr sein,“ werfen sie stammelnd und enttäuscht ihre Schutzschilder in die Einsatzwagen. Die Hamburger Bepos sitzen schon genervt in ihren Wannen und löffeln frustriert Erbsensuppe, als die letzten Fahrzeuge der gehaßten Autonomen ihre Sperre passieren und kurz darauf zu der Demo in Rostock-Lichtenhagen stoßen. Peter Müller/Kai von Appen

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