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Der Traum der kleinen Mädchen

■ Wie kleine Mädchen klassisches Ballett lernen / Besuch in einer Bremer Ballettschule / Ballett macht Spaß — und ist sehr ernst

Sie sind so klein, die sechs- bis achtjährigen Mädchen, die nach dem Rhythmus einer lustigen Volksmusik in langer Reihe quer durch den Raum hüpfen, geführt von Karin Eckstein, ihrer Ballett- Lehrerin. Manche der Mädchen bewegen sich graziös wie Elfen, andere taumeln noch ein bißchen, bei dem Versuch, die Arme im Hüpfen seitlich abzuspreizen und auch noch die Beine vorzuwerfen. Wie Vögelchen, die das Fliegen lernen.

„Jetzt schnaufen wir erstmal durch“, sagt Frau Eckstein, und die Kleinen nehmen das Angebot gerne an, bevor sie sich alle in dem Gymnastikraum an die Holzstangen stellen, um die klassischen Ballettpositionen zu üben. Da aber gibt es Gedrängel, jede möchte einen Platz vor dem Spiegel haben, aber der reicht nun mal nicht. „Mäuschen, nächstes Mal...“ — und das „Mäuschen“ fügt sich und stellt sich auf, „wie eine Perle“ und „mit dem Gesicht zur Stange, dann kannst du nur dir selbst die Zunge rausstecken...“.

Karin Eckstein ist nett und streng zugleich, und beides ist auch gleichermaßen wichtig. Die Mädchen sind quirlig und oft ohne Absicht unaufmerksam. Zugleich aber müssen sie viel lernen. Es gibt fünf Grundpositionen für Arm- und Beinhaltung, die in ruhigem Fluß hintereinander ausgeführt werden sollen und außerdem noch französische Namen haben...

„Bras bas“ (Arme unten) ist die Ausgangsposition für die Arme: Ganz gerade stehen, Po und Bauch einziehen, und —“Rebecca, geh aus dem Rundrücken raus!“ — „Degage“ heißt das Hinübergleiten in die nächste Position: Arme im Halbkreis vor, als ob man einen großen Korbball hält, die Handflächen nach innen und den Kopf geneigt, denn: „Augen und Handflächen sind die engsten Freunde“.

Mozart erklingt aus dem Kassettenrecorder (der die traditionelle Original-Klavierbegleitung ersetzt), und schon bewegen sich die Mädchen nach einem von uralt her vertrautem Muster. Hellblaue Gymnastikanzüge tragen die meisten, dazu durchsichtig weiße Strumpfhosen und rosa „Ballettschläppchen“. Die Ballettschuhe mit verstärkter Spitze gibt es erst im Teenialter, denn zum Spitzentanz sind die Kinderzehenknorpel noch viel zu weich.

Überhaupt geht es in diesen Kinderballettkursen keineswegs um frühen Leistungssport. „Der Markt ist übervoll von Tänzerinnen, und es gibt nichts Schlimmeres, als wenn junge Menschen sich mit falschen Hoffnungen auf so ein Spezialgebiet festlegen und ihren Körper und ihr Leben verpfuschen“, sagt Karin Eckstein. Sie versteht ihren Unterricht als „edles Hobby“, das den Körper beweglich hält und Haltungsschäden vermeiden hilft.

Auch die kleinen Mädchen haben (erstaunlicherweise) keine Flausen im Kopf. Gefragt, ob denn eine von ihnen Tänzerin werden wolle, gucken sie ein bißchen ratlos. Erst nach einigem Zögern meldet sich die kleine Anna und dann auch Helena: „Aber mein Mann müßte dann Rechtsanwalt sein, damit ich abgesichert bin...“, sagt sie und lächelt verschmitzt. Marthe (8) meint überlegen: „Früher mal, da war Tänzerin mein Traum, jetzt nicht mehr. Vielleicht werde ich Schauspielerin.“

Wie meistens in Tanzgruppen aller Art hat sich auch für den Ballettkurs kein einziger Junge gemeldet. Es sind zum größten Teil die Eltern, die ihre Kinder anmelden („Meine Mutter wollte als sie klein war, so gerne Ballettänzerin werden“, sagt Helena), und in deren Köpfen herrscht noch, so Karin Eckstein, das „alte Vorurteil: ein Junge macht was Männliches, und dazu zählen sie den Tanz eben nicht. So ein Unsinn!“ — Folge ist jedenfalls, daß die wenigen Jungen schnell wieder aufgeben, weil sie sich, erst recht, wenn sie älter werden, in den Mädchengruppen nicht nicht ganz heimisch fühlen...

Fünf bis sechs Jahre bleiben die Mädchen im Schnitt dabei. Dann nämlich stellt sich die Frage, ob das Tanzen zur Berufung werden soll. Frau Eckstein rät meistens ab: „Der Ballettuntericht macht den Kindern großen Spaß. Der Beruf ist aber ist ernst und schwer und kurz.“

Cornelia Kurth

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