INTERVIEW
: Die Zeit seit Hoyerswerda genutzt

■ Welle der Überfälle auf ostdeutsche Asylbewerberheime ist auch Ergebnis gezielter Aufbauarbeit westdeutscher Neonazis

taz: Ist die Welle von Überfällen auf Asylbewerberheime in Ostdeutschland eine spontane und unorganisierte Reaktion auf die Rostocker Ereignisse?

Hermann Abel: Nein. Jugendliche beteiligen sich zwar spontan, sie reagieren aber nur auf die von Neonazis vorbereiteten Aktionen. Die Neonazis haben in Ostdeutschland im Verlauf der letzten zwei Jahre Kontaktpersonen gefunden und Gruppen gebildet und ganz gezielt bei der Aufbauarbeit unterstützt.

Die These, daß die ostdeutsche Neonazi-Szene sich fernhält von den westdeutschen Parteien und Gruppierungen, ist nicht haltbar?

Von der »Gesinnungsgemeinschaft der neuen Front« als Kaderorganisation und maßgeblicher Kraft der Neonazis waren viele Hauptpersonen in Rostock vertreten. Dort war Christian Worch, dort war Gerhard Endress von der »Volkstreuen außerparlamentarischen Opposition« (Vapo) in Wien sowie der schwedische Neonazi Erik Rundquist von der Terrorgruppe »Weißer arischer Widerstand« (VAM). Auch dabei war der Berliner Neonazi Arnulf Priem. Auch Vertreter der »Hilfsorganisation für nationale Gefangene« (HNG) waren dort.

Gibt es auch in Berlin, wo es bislang glücklicherweise keine solchen Angriffe auf Asylbewerberheime gab, Hinweise auf geplante Überfälle?

Es gibt in Berlin eine gutfunktionierende Zusammenarbeit von den genannten Organisationen sowie der »Nationalistischen Front« und Kreisen der NPD und der »Deutschen Liga«. Daß es bis jetzt nur zu wenigen Angriffen gekommen ist, liegt daran, daß es hier eine größere Gegenwehr gegen Faschisten gibt und eine etwas andere Polizeistruktur als in Rostock oder anderen Städten Ostdeutschlands. Ich kann aber nur warnen. Mit der Verlegung der Zentralen Asylbewerberstelle nach Hohenschönhausen ist ein Konflikt vorprogrammiert. Da haben die organisierten Neonazis der »Nationalistischen Front« schon längst ihre organisatorischen Fänge ausgelegt.

Hat die Polizei nach Ihren Erkenntnissen diese Entwicklung genügend im Auge?

Unserer Einschätzung nach wird in Berlin gegen die Banden, die sich dort organisieren, viel zuwenig getan. Ein Beispiel ist der Sprengstoffanschlag auf die Putlitz-Brücke. Das ist nicht der erste Anschlag. Es ist uns bekannt, und wir haben es mehrfach veröffentlicht, aus welchem Kreis diese Neonazis kommen. Aber wir haben absolut nicht den Eindruck, daß die Polizei diese Hinweise ernst nimmt.

Gibt es eine ausreichende Zusammenarbeit der Polizei von Berlin und Brandenburg?

In Cottbus, in Eisenhüttenstadt und anderen brandenburgischen Städten können die Faschisten seit Jahren relativ ungestört organisieren. Die Cottbusser Sektion der »Deutschen Alternative« ist mit ungefähr 100 Mitgliedern die größte Ortsgruppe der Partei. Ableger davon gibt es unter anderem in Eisenhüttenstadt. Diese Zusammenhänge umfassen sowohl die organisierten Neonazis als auch rechtsradikale Skinheads. Was wir heute erleben, ist die Fortführung der Angriffe seit Hoyerswerda. Seitdem haben die Neonazis diesen Schwung ausgenutzt und haben sich darangemacht, die vielen Unorganisierten einzubinden. Jetzt erleben wir eine neue Qualität der Angriffe mit einer verfestigten Organisationstruktur. Gerd Nowakowski

Hermann Abel ist Buchautor von »Drahtzieher im braunen Netz« und Mitarbeiter des antifaschistischen Infoblattes.