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Christen manövrieren sich ins Abseits

■ Für die meisten Christen im Libanon war die zweite Wahlrunde am vergangenen Sonntag ein Kniefall vor Damaskus: Ein Urnengang auf Befehl der Syrer kam da nicht in Frage.

Christen manövrieren sich ins Abseits Für die meisten Christen im Libanon war die zweite Wahlrunde am vergangenen Sonntag ein Kniefall vor Damaskus: Ein Urnengang auf Befehl der Syrer kam da nicht in Frage.

AUS BEIRUT KHALIL ABIED

Während der zweiten Runde der Parlamentswahlen trugen die Libanesen ihre Meinungsverschiedenheiten über die Rechtmäßigkeit des Urnengangs mit friedlichen Mitteln aus: Libanons Christen nutzten den Wahltag, um ihrem Unmut darüber Luft zu machen, daß sie den Wahlgang nicht stoppen konnten. In manchen Gebieten hatten sie schwarze Fahnen auf den Dächern gehißt, Kirchenglocken läuteten Sturm. Konvois hupender Autos fuhren durch die Straßen. Die meisten Christen gingen nicht wählen, doch war auch die moslemische Wahlbeteiligung wider Erwarten gering.

Knapp eine Million Libanesen in Beirut und den Schuf-Bergen waren am Sonntag aufgerufen, über die Vergabe von 55 der insgesamt 128 Parlamentssitze zu entscheiden. Die Stimmabgabe verlief ruhiger als bei der ersten Wahlrunde im Norden und im Osten des Landes. Soweit Vorwürfe über Wahlfälschungen erhoben wurden, kamen sie von wenig einflußreichen Politikern, die ohnehin keine Aussicht auf ein Mandat hatten.

In dieser zweiten von insgesamt drei Runden hat die amtierende Regierung erneut eine schwere Niederlage erlitten. Nach ersten Auszählungen hat vor allem die Liste von Ministerpräsident Rascheed Al-Sulh haushoch verloren. Auch der Sunnit Al-Sulh selbst, der als der „Mann Syriens“ im Libanon gilt, hat kein Mandat erhalten. Dagegen hat die Liste des früheren sunnitischen Ministerpräsidenten Salim Al-Hoss, der seinen Wahlkampf gleichermaßen gegen die christliche Opposition und gegen die prosyrische Politik der Regierung führte, von acht Kandidaten sieben ins neue Parlament gebracht.

Zu den Gewinnern gehören auch die Islamisten. Wie schon am vorletzten Wochenende konnte die proiranische Hizballah auch in Beirut und den Bergen eine noch unbekannte Zahl von Kandidaten durchbringen; jedenfalls ist ihr Spitzenpolitiker Sheikh Mohammad Bergawi im Parlament. Auch der Spitzenkandidat der sunnitischen „Islamischen Bewegung“, Zouheir Abeidat, wurde gewählt. Die Ergebnisse der Wahlen sind auch Ausdruck der bizarren Seiten der libanesischen Innenpolitik: Als Folge des christlichen Wahlboykotts und der Quotierung der Parlamentssitze, nach der Christen und Moslems je die Hälfte der Mandate zusteht, können Christen mit winzigen Stimmenanteilen ins Parlament kommen. Die Abgeordnete Khoury machte das Rennen im Wahlbezirk Gubeil mit 42 Stimmen.

Gespräche mit den Bewohnern der Hauptstadt zeigten, daß nicht nur die Christen, sondern auch viele Moslems die jetzige Regierung als einen Haufen von Befehlsempfängern der syrischen Regierung in Damaskus betrachten. Trotzdem waren offenbar auch unter ihnen nur wenige der Meinung, daß man sich der prosyrischen Machthaber im Libanon durch diese Wahlen würde entledigen können. Lediglich die Schiiten demonstrierten ihre Hoffnung auf eine Veränderung durch eine hohe Wahlbeteiligung: Sie wollen endlich „ihre“ Organisationen in der Regierung sehen. Davon profitierte vor allem die proiranische Hizballah.

Die Wahlbeteiligung unter den Sunniten Beiruts war hingegen kaum höher als 40 Prozent. Während der Beiruter Lehrer Mohamad Rifai diesen Umstand mit „dem Wochenende“ erklären wollte, wies die Hausfrau Noha Rawas auf die politischen Ursachen hin: „Die meisten Sunniten sind mit diesen Wahlen unzufrieden, denn sie haben gehofft, daß die neue Regierung eine Regierung aller Libanesen wird. Daß viele nicht zu den Wahlen gekommen sind, heißt aber nicht, daß sie den christlichen Wahlboykott unterstützen. Sie wollen damit ihren Protest gegen beide Seiten demonstrieren: gegen die Regierung, die diese Wahlen jetzt durchgezogen hat, und gegen die Politik der Christen, die den Wahlboykott aus ganz eigennützigen Gründen organisiert haben.“

„Wir sind nicht gegen Wahlen, und wir haben lange auf sie gewartet“, hält ein christlicher Händler dagegen, „aber diese Wahlen können wir nicht akzeptieren. Der Befehl, jetzt zu wählen, kam aus Damaskus. Wir wollen aber in unserer Entscheidung unabhängig sein. Freie Wahlen können wir nur abhalten, wenn alle fremden Truppen aus dem Libanon abgezogen sind.“

Kurze Zeit nach diesen Gesprächen wurde gemeldet, daß die israelische Luftwaffe bereits seit dem frühen Nachmittag dieses Wahlsonntags Hizballah-Stellungen im Südlibanon bombardiert hatte. Angaben über Tote und Verletzte waren nicht zu erhalten. Unter anderem wurde ein Schulgebäude bombardiert, das früher von Hizballah-Milizen genutzt wurde. Am nächsten Wochenende soll in diesem Gebiet und im israelisch besetzten Teil des Südlibanon gewählt werden.

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