piwik no script img

Die diffuse Angst der Eltern von Ohlstedt

■ Schulboykott, Elternabend und ihre Wirkung: Containerdorf wird (vielleicht) nicht gebaut, Behörden blamieren sich

, Behörden blamieren sich

Vielleicht haben sich die Eltern der Ohlstedter Schule „Am Walde“ in den vergangenen Tagen ein wenig so gefühlt, wie der kleine Drache Maximus. Denn, wenn der seine Höhle verläßt, muß auch ihn ein mächtiges Unbehagen überkommen: „Es knistert, rauscht, faucht und knarrt überall“. So steht es jedenfalls auf den vorgedruckten Blättern, die gleich neben dem Lehrerzimmer auf dem Gang der Grundschule angepinnt sind.

Auch die Ohlstedter Eltern haben Bammel, Angst vor jenem Tag, an dem auf dem Schulhof ein Containerdorf für Asylbewerber eingerichtet wird. Und sie sind empört darüber, daß die Behörden Sozialsenator Rundes „Notprogramm“ für Flüchtlingsunterkünfte ausgerechnet auf ihrem Schulhof umsetzen wollen. Deshalb haben sie die Kinder am Montag morgen nicht zur Schule geschickt, statt dessen für 20 Uhr eine Elternversammlung mit Behördenvertretern einberufen. Boykott, Protest.

Für Schulleiter Jürgen Zweifel beginnt diese Woche ganz ungewohnt. Nicht 160 Steppkes stürmen am Montag vormittag das rotgeklinkerte Gebäude mit der riesigen Bronze-Uhr über dem Haupteingang, sondern Kamerateams, Journalisten mit Block, Kugelschreiber oder Mikrophonen, die sie dem 51jährigen unter die Nase halten. „Was halten sie von dem Boykott, wie kam er zustande, Ausländerfeindlichkeit in Ohlstedt?

Jürgen Zweifel wehrt ab, versucht zu erklären, daß es nicht Fremdenhaß sei, der die Eltern bewege, sondern daß „die Emotionen auf das Verfahren zurückzuführen seien“, dessen sich die Behörden bedient haben. Schulleitung, Lehrer und Eltern wurden vor vollendete Tatsachen gestellt: Beginn der Bauarbeiten nächsten Mittwoch, es gebe keine anderen Möglichkeiten im Bezirk Wandsbek. Basta. Übergestülpt, die Betroffenen nicht einbezogen, rügt Zweifel und diktiert: „Wenn man auf Schulhöfe zurückgreift, dann nur in letzter Not.“

Daß dieser Zeitpunkt gekommen ist, wollen die Eltern nicht glauben. Nahezu vollzählig haben sie sich am Abend in der altmodisch hellgrün getünchten Mehrzweckhalle versammelt, die so gar nicht zum fast mondänen Schick der Gegend paßt. Ohlstedt — nicht gerade ein sozialer Brennpunkt. Gesittet geht es zu, demokratiebewußt: „Alle sollen zu Ende reden können“, appelliert der Elternratsvorsitzende, „egal, was sie sagen“. Alles in geordneten Bahnen.

Diese Bahnen sehen vor, daß die Gäste zuerst dran sind. Die Vertreter der Schulbehörde, der Sozialbehörde, des Bezirksamts Wandsbek versuchen die Entscheidung zu begründen — und sich gegenseitig den schwarzen Peter zuzuschieben.

Die Sozialbehörde hat uns über den Platz informiert, sagt Oberschulrat Peter Krup, „für uns war nur die Frage, ob die Fläche entbehrlich ist für die Nutzung als Pausenfläche.“ Das Bezirksamt hat die Fläche als möglichen Standort für ein Containerdorf ausgewiesen, erklärt der Vertreter der Sozialbehörde. Der Senat hat uns gezwungen eine Fläche auszuweisen, sagt die Bezirksamtsleiterin. Das hatte sich vor zwei Wochen bei Ortwin Runde ganz anders angehört. In bestem Einvernehmen mit den Bezirken habe man das Notprogramm, die zehn zusätzlichen Container- Dörfer beschlossen.

Manchem Vater, mancher Mutter in der Mehrzweckhalle fällt es angesichts der hamburgischen Version von Behörden-Transparenz schwer, die geordneten Ohlstedter Bahnen nicht zu verlassen. Schon gar nicht, als Oberschulrat Krup der amtlichen eine pädagogische Begründung folgen läßt. Das Containerdorf könne doch durchaus zu einer Erziehung zu Offenheit und Toleranz beitragen. Protestgemurmel. „Sie wollen uns zu Ausländerfeinden machen“, erwidert ungehalten eine Ohlstedterin.

Sie haben Angst, die Ohlstedter Eltern — auch vor dem Stempel „Ausländerfeinde“. Doch, doch, wir wollen ja noch Flüchtlinge aufnehmen in unserem Ort, „schließlich geht‘s uns doch gut.“ Aber ausgerechnet auf dem Schulhof! Und: Wer soll da eigentlich kommen, Familien oder Einzelrei-

1sende?“ Mit Familien könnte man sich ja vielleicht noch arrangieren, aber.... Die Angst der Ohlstedter — diffus, fast wie beim kleinen Drachen Maximus eben, nur viel greifbarer. Angst vor Rostocker Verhältnissen, vor Jugendlichen, die das Containerdorf angreifen. Angst vor den Asylbewerbern: „Können Sie auch uns garantieren, daß keine Roma und Sinti kommen?“ Angst vor einer Spaltung der Schule in Befürworter und Gegner, Angst um die Erziehung der Kinder. Aber auch Vorschläge. Flächen werden genannt, die das Bezirksamt noch nicht geprüft hatte.

Entschuldigungen. „Der enge Zeitraum..., niemanden erreicht...“. Rückzug. Die Behörden-

1vertreter fügen sich in einen Kompromiß. Mit dem Bau des Container-Dorfes wird noch nicht begonnen. Bis Freitag wird das Bezirksamt Ausweichfläche prüfen. Amtliches Eingeständnis behördlicher Versäumnisse. Aufatmen bei den Eltern, eine Atempause.

Auf dem Zettel im Gang hat ein Kind die Geschichte des Drachen Maximus weitergeschrieben. Auch eine Art Notprogramm, auch ein wenig dilettantisch und leider als Therapieform nur im Märchen wirkungsvoll: „Eines Tages“, so steht da in krakeliger Schrift, „ist der Drache Maximus krank und steckt sich ein Thermometer in seinen Po und nach ein paar Jahren ist er wieder gesund.“ Uli Exner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen