„Hautnah an die Störer heranfahren...“

■ Die bestehenden Sondereinsatzkommandos der Polizei sind für den Einsatz bei „Straßenkrawallen“, Geiselnahmen und auch gegen Fußballrowdys vorgesehen

„In der Nacht vom 1. zum 2. Mai 1988 wollte ich um circa 23 Uhr in eine Diskothek. Die Polizei hatte eine Straße, die ich überqueren mußte, abgesperrt. Während ich noch überlegte, wie ich zu meinem Ziel kommen könnte, forderte die Polizei dazu auf, die Straße zu räumen. Ich war mit dem Fahrrad unterwegs und leistete der Aufforderung sofort Folge. Da kam jedoch bereits ein Polizist knüppelschwingend auf mich zu. Gezwungenermaßen auf der Flucht wurde mir ein Stock in die Speichen des Vorderrads gestoßen. Ich stürzte zu Boden. Einer der Polizisten kam direkt auf mich zugelaufen. Da ich nicht so schnell aufstehen konnte, hielt ich nur noch meine Arme über den Kopf. Ich bekam einen schweren Schlag auf den Rücken, und der Polizist lief weiter.“

Die Aussage stammt von einem Berliner Passanten, der eine Begegnung mit der „Einsatzbereitschaft für besondere Lagen“ (EbLT) hatte. Das kurze Zusammentreffen hatte schwerwiegende Folgen. Der Mann wurde lebensgefährlich verletzt in die Intensivstation eines Krankenhauses eingeliefert, Milz und eine Niere mußten ihm operativ entfernt werden.

Bundesweit berüchtigt um die Brutalität ihrer Einsätze

Dieses Berliner Sondereinsatzkommando war gegründet worden, um bei „Randale“, vorwiegend in Kreuzberg, „beweissichernde Festnahmen“ vornehmen zu können. Bekannt wurde die EbLT aber nicht durch ihre Festnahmeerfolge, sondern durch die Brutalität ihrer Einsätze. Zu bundesweiter Berühmtheit brachte es das Sonderkommando bei einem Einsatz in Wackersdorf, wo sich selbst die bayerischen Kollegen über die „Rambo-Truppe“ beklagten. Als ein EbLT-Kommando dann später noch versehentlich drei hohe Polizeioffiziere verprügelte, die in Zivil einen Einsatz am 1. Mai in Kreuzberg beobachteten, war das Maß voll. Die Truppe wurde kurz vor Antritt des rot-grünen Senats wieder aufgelöst.

Solche Erfahrungen mögen mit dazu beigetragen haben, daß sich Polizeipraktiker eher skeptisch zu der Idee einer Sondereinheit geäußert haben, die im Osten bei „Straßenkrawallen“ eingesetzt werden soll. Zur Zeit gibt es eine solche Sondereinheit nur in Bayern. „Hautnah an die Störer heranfahren, herausspringen und in den Störerbereich hineinmarschieren“, beschrieb ihr Gründungspate, der damalige bayerische Innenminister Gauweiler, die Einsatzphilosophie der „Unterstützungskommandos“ (USK), wie sie in München getauft wurden. Sie waren eine Reaktion auf die tödlichen Schüsse an der Startbahn-West und werden seitdem hauptsächlich gegen Fußballrowdys eingesetzt. Die Truppe hat eine Sollstärke von 620 Mann.

Außer diesen speziellen Rambo-Einheiten unterhält jedes Bundesland ein sogenanntes „Sondereinsatzkommando“ (SEK) und ein „Mobiles Einsatzkommando“ (MEK). Während die MEKs hauptsächlich für Zielfahndung, aber auch für Einsätze als verdeckte Ermittler zuständig sind, paßt die Arbeitsbeschreibung der SEKs auch auf Einsätze wie jene, die notwendig gewesen wären, um die Ausschreitungen gegen das Flüchtlingsheim in Rostock zu unterbinden. Speziell ausgebildet und ausgerüstet sind die SEKs sowohl für den Straßenkampf wie überhaupt für die Festnahmen als besonders gefährlich geltender Gewalttäter. Bankraub mit Geiselnahme beispielsweise gehört zu den SEK-Spezialitäten. Der Einsatz gegen die Geiselnehmer von Gladbeck gehörte zu den Highlights des nordrhein- westfälischen SEK.

Solche Einheiten sind auch in den neuen Bundesländern im Aufbau oder aber existieren bereits. In Brandenburg wurde aus der früheren Anti-Terror-Einheit der DDR, sozusagen Honeckers GSG-9, Stolpes Sondereinsatzkommando. 65 Beamte können bei Bedarf per Hubschrauber an jeden beliebigen Ort des Landes geflogen werden. Sollten die Länderpolizeien tatsächlich einmal personell überfordert sein, kann jedes Bundesland Einheiten des Bundesgrenzschutzes anfordern. Zu 22.000 BGSlern in den Altbundesländern sind in den letzten zwei Jahren 8.300 neue Planstellen im Osten dazugekommen. Außerdem gibt es in der gesamten Republik 26.000 Mann kasernierte Bereitschaftspolizei, die auf Anruf verfügbar ist. Jürgen Gottschlich