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"Schlange" im Polizeiapparat

■ Wie ein Streifenpolizist James Bond spielte und dabei kräftig auf die Nase fiel

spielte und dabei kräftig auf die Nase fiel

Eigentlich hat der Polizeiobermeister Klaus Siewert seit 1978 inoffiziell nur das gemacht, was heute offiziell auf staatlicher Schiene läuft: Er hat zur Ausbildung des Ostens beigetragen. Doch nun muß sich der 38jährige wegen „geheimdienstlicher Agententätigkeit — im Volksmund „Spionage“ — für das „Ministerium für Staatssicherheit“ (MfS) vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts verantworten. Siewert: „Ich bereue sehr doll, daß ich die Tat begangen hab.“

Die Spionagestory beginnt 1978 in Siewerts „Heißsporn“-Phase. Der gelernte Koch hat gerade drei Autos zu Schrott gefahren, 17000 Mark Schulden am Hals. Weil ein Offenbarungseid droht, ist auch der neue Polizeijob als „Beamter auf Widerruf“ gefährdet. Und da kommt ihm die Idee. Er fährt nach Ost-Berlin und ruft im MfS in der Normannenstraße an und erhält prompt eine Audienz. Vorschlag: Infos, wenn die Stasi ihn von seinem Schuldenberg befreit. Tenor: „Gebt mir 20000 und ich liefer Euch einen kompletten Funkstreifenwagen.“ Und noch ein Joker hat Siewerts in Gepäck: Er hat sich gerade beim Hamburger Verfassungsschutz (VS) beworben. Doch 20000 Mark auf einen Batzen wollen ihm seine Führungsoffiziere „Hans“ und „Willi“ nicht gleich geben. Zumal sie befrüchten müssen, daß der Geldsegen den Verfassungsschutz stutzig machen würde. 4000 Mark war ihnen die neue Bekanntschaft schon wert.

In den Folgemonaten bekommt Siewert alias „Schlange“ weitere 300 Mark Pauschale zugesagt. Im Gegenzug bekommt das MfS von ihm Steckbriefe von RAF-Mitgliedern, Polizeivorschriften, Dossiers über Mitarbeiter der sowjetischen Militärmission, die Lose-Blatt- Sammlung vom Bundeskriminalamt, Fernschreiben des Staatsschutzes sowie die Bedienungsanleitungen der Computerdateien „Zevis“ und „Polas“ sowie später eine Hafenstraßen-Detailkarte.

In der Bundesrepublik versuchte Siewert weiter Karriere zu machen. Als der VS ihn ablehnte, bewirbt er sich beim Staatsschutz und bei der Eingreiftruppe „GSG 9“ in St. Augustin bei Bonn. Vom GSG-9-Gebäude macht er dann beim nächsten Treffen eine Zeichnung, von den Bewerbungsunterlagen Kopien. Für Siewert ist in dieser Zeit eigens der Kurier „Klaus“ abgestellt. Nimmt „Klaus“ mit „Schlange“ abends in der U-Bahn auf der Fahrt zum Revier 13 (Hohe Bleichen) Sichtkontakt auf, findet am nächsten Tag um 13 Uhr ein Treffen am U-Bahnhof Kellinghusenstraße statt. Möchte Siewert Kontakt aufnehmen, meldet er sich unter einer geheimen Telefonnummer.

Die Stasi erteilt ihm aber auch knifflige Aufträge. So soll sich „Schlange“ an die hübsche Verfassungsschutzagentin „Karin“ in Horn heranmachen. Siewert: „So'n

Typ bin ick nich.“ „Schlange“ kontrolliert dennoch die Adresse, trifft „Karin“ aber nicht an. Auch einen Unterschlupf des Bundesnachrichtendienstes in der Spaldingstraße und ein spiegelverglastes Reisebüro

1auf der Reeperbahn, wo der VS residiert, sucht „Schlange“ auf, erfährt aber nichts Konkretes.

Selbst als Siewert 1984 zur Verkehrsstaffel Ost versetzt und nun vom Führungsoffizier „Ulli“ betreut wird, kann er Nützliches liefern. Im Verlauf einer Radarkontrolle geraten beispielsweise mehrere VS'ler in die Klauen der Polizei: Siewert: „Wir sind angegriffen worden, es war ein richtiger Zusammenstoß.“ Alle Namen der VS'ler, die er im Zusammenhang mit der Hauerei zwischen Polizei und Stasi-West herausbekommt, übermittelt er „Ulli“. Und wenn weitere VS'ler bei Verkehrsverstößen ertappt werden, erhält „Ulli“ auch deren Personaldaten — bis „Schlange“ 1989 die Arbeit endgültig einstellt. Durch die Ausagen von „Hans“, „Willi“, „Ulli“ kam nach dem Mauerfall nun alles heraus, und der vom Dienst suspendierte Polizist Siewert, der noch seine vollen Bezüge kassiert, steht nun vor dem Kadi. Kai von Appen

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