: Zirkusschauder, nie zu spät!
■ Zirkus Krone gastiert in Bremen auf der Bürgerweide / Eine Sensation jagt die andere
Tiger
Der Mann, der die brüllenden weißen Tiger küßt F.: Krone
„Und du warst wirklich noch nie im Zirkus?“ — die Reporterin erhält mitleidig-heitere Blicke, als sie, schnell und verlegen zugleich, nach den Freikarten für Zirkus Krone greift. Sie weiß, was diese Blicke bedeuten: Wer als Kind nicht Pippi Langstrumpf gelesen hat, wird nie wissen, was es heißt, nach Taka-Tuka-Land zu fahren; und wer als Erwachsene zum ersten Mal in den wirklichen, den echten Zirkus geht, kann nicht mehr davon träumen, mit dem Dompteur auszureißen. Zu spät, zu spät! - „aber versuch es nur...“
Die Reporterin hat es versucht. Und — es ist alles nicht wahr!
Zirkus Krone ist großartig. Eine ganze Wohnwagenstadt mit angeschlossenem Zoo und Cafe ist aufgebaut auf der Bürgerweide. Von allen Seiten strömen die Menschen auf den bunt-leuchtenden Eingang zu, den golden betresste Hüter bewachen. „Bin ich zu spät?“ fragt die Reporterin. „Nein“, sagt der Torhüter und lächelt, „es ist nie zu spät. Der Zirkus kennt keine Grenzen!“
Und sie ist drinnen im riesigen Zelt, die Musik tuscht. Eine Stimme ruft dramatisch: „...in der Manege, auf der Bühne und in der Luft!“ — und es beginnt eine geschickt inszenierte Verzauberung, die, sich immer noch einmal steigernd, erst nach drei Stunden wieder aufhört. Dann, wenn die ArtistInnen mit ihrem strahlenden Lächeln (dem man unbedingt glauben will), noch einmal alle in die Mangege kommen und sich verabschieden, als würden sie nicht morgen schon die nächste Vorstellung geben.
Drei Stunden, die wie im Flug vergehen. Eine „Sensation“ jagt die andere, und doch bleiben Einzeleindrücke unauslöschlich. Kleine und große. Der melancholische Pausenclown Pierino aus der Schweiz spielt mit einem Nilpferd, das naß, breit lächelnd und zufrieden durch die Sägespäne stapft; er hüpft über ein wolliges Schwein, und redet mit Nils Holgersons weißem Gänserich.
Die „Alexander-Brothers“ lassen das Herz stillstehen, denn sie laufen hoch unter der Zirkuskuppel auf einem rotierenden Doppelrad, innen, wie Hamster in ihrer Mühle, und dann auch außen, wobei sie durch geschickte Gewichtsverteilung das Tempo der Rotation steigern, bis die ZuschauerInnen aufschreien (einschließlich der Reporterin), und dann rasenden Beifall klatschen.
Schöne, weißgekleidete Männer spielen mit der Schwerkraft und fliegen mit einem „Dreifachen Salto Mortale“ aufeinander zu, spielerisch und kräftig: „The Flying Vegas“ aus Mexiko, so nah, daß sich mit Grausen der Gedanke aufdrängt, sie könnten vor der eigenen Nase abstürzen. Das tun sie natürlich nicht, aber mit der Angst der ZuschauerInnen spielt das Programm, bis hin zum Entsetzen der Kinder, wenn Alligatoren all überall am Manegenrand abgelegt werden und starr und still in 20 Zentimeter Entfernung vom Publikum auf der Lauer liegen, ehe nicht „Karah Khavak“ der „Herr über Schlangen und Krokodile“ sie endlich wieder einsammelt.
Übervoll von edlen Schimmelhengsten und Englischen Palominos ist das Zirkusrund, und Stallgeruch steigt auf, wenn Chefin Christel Sembach-Krone, eine inzwischen mächtige Gestalt, ihre berühmte Pferdedressur vorführt. — Und die Elefanten, die alles niedertrampeln könnten und sich doch nur rührend geschickt auf die Schemel niedersetzen oder Türme bilden, gekrönt von hübschen Elefantenfeen. Der Clown, der Spagetti unverschämt ins Publikum wirft. Li Da, die schlangengeschmeidige Chinesin.
Und nicht zuletzt: Der Dompteur! Ein langhaariger Riese, der seine brüllenden „weißen“ Tiger küßt! Ausreißen möchte die Reporterin zwar nicht mit ihm, aber erschütterte Hochachtung empfindet sie, und große Dankbarkeit, daß es für den Zirkusschauder wirklich nie zu spät ist. Cornelia Kurth
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