: Bremer Ärzte protestierten im Konzertsaal
■ Ärztekammer-Präsident ließ Resolution gegen Seehofer-Gesetz beschließen, die keiner kannte
In Bremen fand der Protest im Saal statt. Während in anderen Bundesländern ÄrztInnen auf der Straße demonstriert, gestreikt oder mit Plakataktionen im Wartezimmer ihre PatientInnen agitiert hatten, fanden sich gestern nachmittag rund 400 Bremer und
hier bitte die gefaxte
Karikatur mit dem Henker
Bremerhavener ÄrztInnen im Konzerthaus „Glocke“ ein, um gegen den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesundheitsstrukturgesetz zu protestieren. Dem federführenden CSU-Minister Horst Seehofer warfen mehrere bremische Ärztefunktionäre un
ter anderem „planwirtschaftliche, dirigistische Maßnahmen“ und einen „politischen Kunstfehler“ (Ärztekammer-Präsident Karsten Vilmar) oder „Verstaatlichung“ und die Absicht, per „Ermächtigungsgesetz“ die Ärzteschaft zu maßregeln, vor (der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, Karsten Erichsen).
Nicht weniger dirigistisch — ohne auch nur eine einzige Möglichkeit der Wortmeldung — beendete Vilmar nach gut zwei Stunden die Podiumsveranstaltung. Allgemein fragte er noch nach der Zustimmung „zu den vorliegenden Papieren“. Hände hoben sich, gezählt wurden sie allerdings nicht, und eine Gegenprobe fand auch nicht statt. Ein gutes Drittel der Versammlung war zudem schon nach Hause gegangen.
Dabei hatte es im Vorfeld Streit um den Text der beiden vorgelegten Resolutionen gegeben. Ein im Ton moderaterer und kompromißbereiter Entwurf der Ärztekammer war von der Kassenärztlichen Vereinigung abgelehnt worden. Die ließ sich gestern dafür von den Bremer ÄrztInnen auch gleich noch die Zustimmung für ihre Stellungnahme zum Seehofer-Gesetz geben. Den Wortlaut dieser beschlossenen Stellungnahme konnten die ÄrztInnen allerdings noch gar nicht kennen, denn sie soll erst am 9. September in Bonn vorgelegt werden.
Die weitgehend gelangweilte Stimmung der Versammlung am freien Mittwochnachmittag der ÄrztInnen wurde nur bei der Rede des Vertreters der alternativen „Liste Gesundheit“, Wolfgang von Heymann, munter. Als einziger Redner hatte er an den Seehofer-Plänen auch kritisiert, daß sie mit der „Differenzierung der Patienten in vier Klassen das Prinzip der Solidargemeinschaft aus den Angeln hebeln“. Von Heymann: „Kein Arzt, der nicht schon seit den ersten Assistenzarzttagen die Bevorzugung von Privatpatienten auf den OP-Wartelisten kennengelernt hat, kann ernsthaft behaupten, daß der kassenärztliche Bereich gegen dieses Vier-Patienten-Klassen-System immun sei.“
Mit Zwischenrufen „Aufhören“ wurde von Heymann unterbrochen, als er überflüssige Behandlungen und Verschreibungen seiner KollegInnen kritisierte: „Etwa 30 Prozent aller erbrachten Röntgenleistungen sollen medizinisch unnötig sein, und die Wirksamkeit eines Viertels aller verordneten Arzneimittel ist umstritten.“ Ein empörter Zwischenrufer wollte ihn mit dem Argument stoppen: „Das kann man doch nicht an der Öffentlichkeit diskutieren.“ Dirk Asendorpf
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