Der Geist der Freikorps

„Ultra“ von Ricky Tognazzi, ein Film über Hooligans  ■ Von Thomas Winkler

Hooligans gibt es nicht erst seit gestern. Auch die 39 Toten im Brüsseler Heysel-Stadion beim Europokal-Finale der Landesmeister 1985 zwischen dem FC Liverpool und Juventus Turin sind nicht Anfangs- oder Endpunkt einer anscheinend unvermeidlichen Entwicklung, sondern nur trauriges Zwischenhoch. In England sind Krawalle in den Stadien schon seit den 20er Jahren übliche Begleiterscheinung des Fußball-Alltags. Sie entstanden fast zwangsläufig mit der Verelendung größerer Bevölkerungsschichten in den Arbeitervierteln, mit der Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen, die ihr Selbstwertgefühl einzig aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beziehen konnten, und die Wichtigkeit der Gruppe war von der Größe der Schlagzeilen in den Montagsausgaben abzulesen. Parallel zum Liga-Betrieb entstand eine Meisterschaft der Hooligans, die sich oft genug an vorher vereinbarten Orten zur Schlacht trafen. Die Polizei und Unbeteiligte wurden erst später in die Auseinandersetzungen einbezogen, als die Fangruppen getrennt wurden, um das Geschehen aus den Stadien heraus und von den Kameras weg zu verlegen.

„Ultra“ ist nur eine Momentaufnahme dieser Entwicklung, markiert am Beispiel einer Fangruppe, den „Brigata Veleno“ des AS Rom, den Übergang vom mitreisenden Fan, dessen Faust locker sitzt, zum Hooligan mit dem Ethos des Straßenkämpfers, für den der Ausgang des Spiels nur noch nebensächlich ist, für den das Spiel nur mehr einen Termin für die eigene Aktivität bedeutet.

„Ultra“ sucht nicht nach Ursachen oder bemüht sich um Analyse. Seine Protagonisten werden einzig über ihre Stellung in der Hooligan- Gruppe definiert, ihre sozialen Hintergründe fehlen fast völlig. Der eine ist ein Dieb und kommt gerade aus dem Knast, der andere schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch und wohnt noch bei den Eltern.

Es ist der Blick aus dem Inneren der Gruppe, der die Bilder bestimmt. Die Mutter ist reduziert auf die keifende Nervensäge, die Bullen verschwinden gesichtlos hinter ihren Helmen und Schilden, die feindlichen Hooligans sprechen nicht, sondern skandieren nur Sprechchöre, sind einzig identifizierbar an den anderen Klub-Farben.

Diese Farben sind der wahre Lebensinhalt, das gelb-rote Trikot des AS Rom hat er am meisten vermißt, gesteht Principe nach zwei Jahren Gefängnis. Beim Sprechen über einen Neueinkauf für die Mannschaft wird kein Name benutzt: „Der Brasilianer, der Deutsche“, das muß reichen. Der Einzelne ist austauschbar, was zählt, ist der Klub. Parallelen zu den Bandenkriegen in den USA sind unverkennbar.

Dieser eingeschränkte Blick aus dem Inneren mag nicht tief in die Psychologie dringen, aber er ist wahrhaftiger als ein zum Beispiel dokumentarischer Versuch, weil er die Mechanismen innerhalb der Gruppe wenn schon nicht analysiert, dann doch zumindest beschreibt und nachvollziehbar macht. Die strenge Hierarchie, die männlichen Rollenspiele, das Macho-Imponiergehabe, der allgegenwärtige Sexismus und die männerbündlerische Vertrautheit sind das Thema. Damit ist „Ultra“ umfassender zu verstehen, ist eine Zustandsbeschreibung männlicher Psyche und nicht nur spezieller Verhaltensmuster von Hooligans. Der Geist der Freikorps, der nahezu jede Versammlung von mehr als zwei Männern zu beherrschen scheint, weht auch durch diesen Film.

Frauen sind der Gruppe nur angegliedert als Mutter, Schwester oder Geliebte. Sie spielen keine Rolle, dürfen keine Rolle spielen, auch wenn beide Protagonisten dieselbe lieben. Der eine stürzt sich in den Kampf, nicht weil er die Frau, sondern weil er den Freund an sie verloren hat, und wird töten. Der andere verleugnet sie zwar, aber gewinnt sie doch. Doch von der Gruppe entfernt er sich nicht wegen ihr, sondern weil der Tod eines Freundes ihn erschreckt.

Ricky Tognazzis zweiter Spielfilm ist ein Versuch. Ob er gelungen ist, läßt sich nicht einfach entscheiden. In der Beschränkung auf das Wechselspiel innerhalb der Gruppe liegt seine Stärke, in der Suche nach einer scheinbar unvermeidlichen Geschichte seine Schwäche. Nur die Eskalation der Gewalt bis zum Tod scheint dem heutigen Kino Zelluloid wert zu sein, der Alltag nicht. Dem Spektakulären hat sich Tognazzi hingegeben, wo doch die schlichte Darstellung des Lebens zwischen Auswärtsspiel und Heimspiel, Wochenende und Wochenende wahrer hätte sein können. So hinterlassen die ganz im Stile amerikanischer Action- Filme geschnittenen Gewaltszenen ein ebenso schales Gefühl wie die deutsche Synchronisation, die unter angestrengt versucht, die Härte des römischen Slangs nachzuvollziehen.

„Ultra“ pendelt zwischen einer einfühlsamen, manchmal sogar gefühligen Sicht und den harten, schnellen Schnitten, die die Schlägereien visuell zu stark hervortreten lassen. Zum größten Teil bevorzugt der Film eine schlichte Fernsehästhetik aus wenig strukturierten Halbtotalen und verwaschenen Bildern, doch von Zeit zu Zeit versucht er stilvoll zu sein und wird dann unehrlich. Die wahren Bilder sind die, die wir vom Bildschirm, von der „Sportschau“ kennen. Wenn diese Ästhetik auf den Teil der Aktion übertragen wird, den die gesendeten Bilder sonst verschweigen, hat „Ultra“ seine besten Momente.

Eine Lösung hat Tognazzi natürlich genausowenig anzubieten wie die ignoranten Funktionäre, die das Problem durch immer größere Polizeistaffeln und immer höhere Zäune einfach vom Spielfeld weghalten wollen und ansonsten keine Mark für Fanclubs übrig haben. Wie sollte er auch. Bezeichnend bleibt, daß der erste Film zum Thema ausgerechnet aus dem vom Hooliganismus relativ verschonten Italien kommt und nicht etwa aus England, Holland oder der BRD. Für den Mut hat „Ultra“ ohne Zweifel den Silbernen Bären und die beiden Europäischen Filmpreise verdient. Filmisch bleiben diese Entscheidungen, wie damals schon angemerkt wurde, weiter zweifelhaft.

„Ultra“. Regie: Ricky Tognazzi, Kamera: Alessio Gelsini. Mit Claudio Amendola, Ricky Memphis, Gianmarco Tognazzi, Giuppy Izzo u.a. Italien 1990.