: Schrumpfkur bringt die Bibliotheken in Gefahr
■ 300 Stellen sollen entfallen/ Nachwuchs hätte keine Chance mehr/ Bücherei-Schließungen wären unumgänglich
Hohenschönhausen. Die für Kultur und Bildung zuständigen Stadträte haben gestern die vom Senat angestrebte Kürzung von 300 Stellen bei den Berliner Bibliotheken abgelehnt. Sie seien sich mit Kultursenator Ulrich Roloff-Momin darin einig gewesen, daß diese Zahl »überdacht« werden müsse, berichtete der Weddinger Volksbildungsstadtrat Werner Gotzmann (AL).
Nach der jüngst vorgestellten Schrumpfkur für die Berliner Verwaltung, die eine Einsparung von 25.000 Stellen bis 1997 vorsieht, sollen bei den Stadtbüchereien 300 Stellen entfallen. Das entspricht einem Viertel des im Berliner Bibliotheksbereich Beschäftigten.
In Hohenschönhausen einigte sich die Kulturstadträteversammlung, demnächst in Szenarien die daraus entstehende Situation in den Bezirksbibliotheken aufzuzeigen.
Man könne sich dann nur noch überlegen, so Werner Gotzmann zu den beabsichtigten Kürzungen, »was schließt man?«. Im Wedding wären etwa die Schulbibliotheken oder Außenstellen der Jerusalem-Bibliothek bedroht, wenn eine Reduzierung des Personals um ein Viertel erfolgen sollte.
»Diese Größenordnung der Kürzungen ist überhaupt nicht mehr aufzufangen«, sagte Marion Höppner, die Vorsitzende der Bibliothekare an öffentlichen Bibliotheken gestern der taz. Sie hatte in einer Pressemitteilung darauf hingewiesenb, daß der bibliothekarische Nachwuchs keine Chance mehr habe, falls die Kürzungen so exekutiert würden. Im Jahr 2005 wäre der jüngste Mitarbeiter in den Bibliotheken 40 Jahre alt, rechnete Höppner aus. Auch die Computerisierung der Berliner Büchereien könne einen Verlust von 300 Stellen nicht auffangen. Der technische Stand der Berliner Bibliotheken entspricht nach der übereinstimmenden Beurteilung von Fachleuten dem der 60er Jahre.
Hinzu kommt, daß in den Bibliotheken im Osten Berlins massive Bestandslücken aufzuholen sind.
Der Sprecher der Senatsverwaltung für Kultur sagte gegenüber der taz, der Senator werde den schnellen technischen und räumlichen Ausbau der Bibliotheken zur Bedingung für Kürzungen machen. cif
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