: Wahlen unter doppelter Besatzung
■ Die letzte Runde der libanesischen Parlamentswahlen findet am Sonntag im Süden des Landes statt
Beirut/Berlin (taz) — In der dritten Runde der libanesischen Parlamentswahlen sind am Sonntag die Bewohner des Südlibanon aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Bislang ist unklar, wie die Wahlen im israelisch besetzten Teil des Südlibanon vonstatten gehen sollen. Noch am vergangenen Sonntag, als in der libanesischen Hauptstadt und in den Schuf-Bergen gewählt wurde, hatte die israelische Luftwaffe Stellungen der Hizballah im Süden des Landes bombardiert.
Diese schiitische Gruppierung kämpft nach wie vor gegen die israelische Besatzung, hat sich aber als politische Partei auch an den Wahlen beteiligt und könnte in Zukunft einen eigenen Block im libanesischen Parlament bilden.
Seit dem Beginn der Wahlen vor zwei Wochen wurde wiederholt der Verdacht laut, daß die syrische Regierung massiven Einfluß auf den Wahlausgang zu nehmen sucht. Offenbar ließ der syrische Präsident Assad durch seinen „starken Mann“ im Libanon, Innenminister Sami Al- Khateb, bei der Aufstellung der Kandidaten ebenso intervenieren wie bei der Stimmenauszählung. Denn Damaskus ist an einer Aufrechterhaltung des politischen Status quo im Libanon interessiert.
Nachdem es erneute Streitigkeiten über „Unregelmäßigkeiten“ in der zweiten Runde (siehe taz vom 3.9.) gegeben hatte, traf Mitte der Woche der libanesische Präsident Elias Al-Hrawi mit dem US-Botschafter in Beirut, Rian Krocker, zusammen. Bei diesem Gespräch habe der US-Diplomat den bisherigen Verlauf der Wahlen nicht kommentiert, heißt es in der libanesischen Hauptstadt.
Er sei von libanesischer Seite gebeten worden, Druck auf die israelische Regierung auszuüben, die dritte Runde der Wahlen im Südlibanon auf keinen Fall zu stören.
Im Falle unliebsamer Ergebnisse: anullieren!?
Washington fürchtet einen Eklat bei den libanesischen Wahlen vor allem deshalb, weil ein Sturz der jetzigen Beiruter Regierung — ebenso wie die allzu offensichtliche Etablierung eines neuen prosyrischen Regimes — dazu führen könnte, daß Zweifel an der Legitimität des Mandats der libanesischen Verhandlungsdelegation in den bilateralen arabisch-israelischen Nahostverhandlungen in Washington aufkommen könnten.
Da die Nahostgespräche wegen George Bushs Wahlkampf unter massivem kurzfristigem Erfolgsdruck stehen, will man auch die syrische Regierung nicht durch Kritik an ihrer Einflußnahme im Libanon verstimmen. Man befürchtet, daß Damaskus die Washingtoner Verhandlungen im Gegenzug obstruieren könnte.
Die US-Regierung ist also vermutlich nicht abgeneigt, Israel wenigstens in den nächsten Tagen von seinen regelmäßigen Bombardements im Südlibanon abzuhalten. Nun hat aber die gefürchtete Südlibanesische Armee (SLA), die seit rund zehn Jahren im israelischen Auftrag als Ordnungsmacht im besetzten Teil des Südlibanon fungiert, gegen die Wahlen im Libanon optiert. General Lahad, der Führer der SLA, bezog eine ähnliche Position wie die übrigen Christen im Libanon, die auch an diesem Wochenende wieder zu Wahlboykott und Streik aufgerufen haben.
Dabei hat der christliche General sicher seine eigenen Motive — und er hat auch seine eigenen Methoden, den Wahlboykott der Christen durchzusetzen. Allen Familien in der „israelischen Sicherheitszone“, die wählen gehen, drohte er mit gewaltsamer Vertreibung. Auch die israelische Besatzungsmacht erhob wegen der „syrischen Einflußnahme“ Einwände gegen die Abhaltung der Wahlen.
Die amerikanischen Nahostdiplomaten haben es also wieder einmal nicht leicht. Die libanesische Zeitung Al-Nahar glaubte bereits zu wissen, wie sie ihre komplizierte Aufgabe lösen werden. In einem Cartoon erzählt der libanesische Präsident Al-Hrawi einem anderen Bewohner der Hauptstadt voller Stolz: „Der amerikanische Botschafter hat mir im Vertrauen gesagt, wie gut den Amerikanern unser Innenminister Al-Khateb gefällt. Bush will ihn sogar nach Washington rufen, damit er die Schlußphase seines Wahlkampfes managt.“
Sollten die Wahlen aber trotz aller Anstrengungen Al-Khatebs weiterhin auf eine Niederlage der prosyrischen Regierung in Beirut zusteuern, könnte in den nächsten Tagen eine Wende eintreten, die nur auf den ersten Blick überraschen mag. Der Wahlgang könnte von denselben Politikern der prosyrischen Regierung in Beirut anulliert werden, die ihn zuvor gegen den erbitterten Widerstand der libanesischen Christen durchgesetzt haben.
Innenminister Al-Khateb hat schon erklärt, bei einer Wahlbeteiligung unter fünfzig Prozent dürfe das neugewählte Parlament nicht im Amt bleiben. Der libanesische Ministerpräsident Raschid Al-Solh, dessen Wahlniederlage am letzten Wochenende nur durch das plötzliche Auffinden „nicht ausgezählter Urnen“ verhindert werden konnte, teilte der libanesischen Presse am Mittwoch mit, wegen der „außerordentlich niedrigen“ Wahlbeteiligung könnten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des neuen libanesischen Parlaments aufkommen. Ch.L.
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