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Alle wußten Bescheid — doch nichts passierte

Schon vor einem Jahr befürchtete Rostocks Bürgermeister Kilimann Ausschreitungen gegen die Asylbewerber in Lichtenhagen/ Das Land Mecklenburg-Vorpommern reagierte nicht/ Suche nach alternativen Standorten blieb erfolglos  ■ Aus Schwerin Bettina Markmeyer

Sie haben es gewußt. Schon vor einem Jahr befürchtete der Rostocker Oberbürgermeister Klaus Kilimann (SPD) Tote in Lichtenhagen. „Probleme im Zusammenhang mit der ZAST (Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber) haben in den letzten Wochen in gravierender Weise die Ausländerfeindlichkeit in Rostock gefördert“, schrieb Kilimann am 26. Juli 1991 an den damaligen Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns, Georg Diederich (CDU). „Bemühungen zur Integration ausländischer Bürger werden dadurch immer wieder untergraben. Die Sicherheit aller ausländischen Bürger in Rostock ist in einem deutlich höheren Maße gefährdet. Gewalttätigkeiten gegenüber ausländischen Bürgern nehmen zu. Schwerste Übergriffe bis hin zu Tötungen sind nicht mehr auszuschließen.“ Ob und wie auf Kilimanns Alarm-Brief reagiert wurde, vermag Klaus Baltzer, der Staatssekretär des jetzigen Innenministers Lothar Kupfer (CDU) heute nicht mehr zu rekonstruieren. Baltzer weiß nur, daß in Sachen ZAST „1991 das ganze Jahr über alles gutgegangen“ sei, es habe „nie ernsthafte Auseinandersetzungen“ am Lichtenhagener Hochhaus gegeben.

Der Vorgang ist exemplarisch. Aufgeschreckt durch die zornigen Anschuldigungen des Ex-Pressesprechers der SPD-Landtagsfraktion, Knut Degner, nicht nur der CDU-Minister Kupfer, sondern auch die Rostocker SPD-Politiker Kilimann und Innensenator Peter Magdanz gehörten zu den „politischen Brandstiftern“ von Rostock, übertreffen sich die Verantwortlichen aller Parteien nun in Rechtfertigungs- und Abwiegelungs-Versuchen. Kilimann hat zwar das Innenministerium gewarnt. Wohlweislich verschwieg er aber, daß er selbst und der Rostocker Senat die ZAST Ende 1990 nach Lichtenhagen geholt hatten — und dies nicht, weil sich Rostock für den Umgang mit Flüchtlingen besonders geeignet fühlte. Denn für die Stadt, die die ZAST beherbergt, wird die Quote, wieviele Asylbewerber sie unterzubringen hat, um die Hälfte gesenkt.

Als bereits im Sommer 1991 die ZAST überbelegt war und Lichtenhagener Anwohner sich massiv beschwerten, fiel Magdanz und Kilimann wenig mehr ein, als vom Land die Verlegung der ZAST zu fordern. Ausweichquartiere innerhalb der Stadt wurden immer nur für kurze Zeit gesucht, zuletzt für genau sieben Tage zwischen dem 19. und dem 26.Juni dieses Jahres an der Warnowallee. „Nicht intensiv genug“, kritisiert denn auch der Landtagsabgeordnete Reinhardt Thomas, der seinen Wahlkreis in Lichtenhagen hat, habe sich die Rostocker Stadtregierung mit der Unterbringung der Flüchtlinge beschäftigt. Die Brisanz des nachweislich wachsenden Bürgerfrusts sei nicht ernstgenommen worden: „Briefe ans Innenministerium reichen da nicht!“ Für die Probleme im Umfeld der dem Innenministerium unterstehenden ZAST sei eindeutig die Stadt Rostock zuständig gewesen. Thomas, der aus der SPD ausgetreten ist und in der Ausländer- und Sicherheitspolitik der CDU nahesteht, hatte im Frühsommer dieses Jahres die absehbare Eskalation um die ZAST auch im Innenausschuß des Schweriner Landtags zum Thema gemacht.

Auch der Bürgerbeauftragte der Schweriner Landesregierung, Wolfgang Schulz, informierte nach eigenen Angaben bereits im Oktober letzten Jahres sowohl den Rostocker Oberbürgermeister als auch Innenminister Diederich über die zahlreichen Beschwerden der Lichtenhagener. Erst im Januar 1992 reagierte der Innenminister und noch später, im März 1992, der Rostocker Oberbürgermeister — beide mit derselben, lapidaren Antwort: Die ZAST werde im Juni 1992 nach Hinrichshagen verlegt. Bekanntlich geschah das nicht. Vielmehr campierten im Juni Asylbewerber auf dem Rasen vor der Anlaufstelle, die zu dieser Zeit ständig überfüllt war. Schulz leitete erneute Beschwerden weiter, worauf Innenminister Kupfer antwortete, die ZAST werde nunmehr zum 1.September verlegt.

Versuche, Flüchtlinge in den Kreisen Ueckermünde und Pasewalk unterzubringen, gab das Innenministerium nach Bürgerprotesten und wegen rechtlicher Probleme wieder auf. In der Lichtenhagener ZAST stauten sich die Flüchtlinge. Die Kreise erklärten, sie könnten niemanden mehr unterbringen. Der stellvertretende Leiter der Ausländerabteilung, Dirk Nockemann, wird deutlicher: „Die Landräte wollen nicht mehr.“ Alle Behörden, von den Kommunen bis zum Innenministerium, sind mit den derzeit 11.000 AsylbewerberInnen in Mecklenburg-Vorpommern und einer immer feindlicher reagierenden deutschen Bevölkerung offensichtlich überfordert. Und schon warnt der Bürgerbeauftragte Schulz vor einer dem Lichtenhagener Desaster ähnlichen Situation in einer westmecklenburgischen Gemeinde. Dort hätten sich fast alle Bürger des Ortes in einer Initiative gegen die Asylbewerber zusammengeschlossen. Er habe das Innenministerium davon unterrichtet, daß Rechtsradikale „bereits die Örtlichkeiten erkundet“ hätten.

Knut Degner, bisher Pressesprecher der SPD-Fraktion, steht weiter zu seinen Vorwürfen, nicht nur Kupfer, sondern auch Kilimann und Magdanz hätten „Menschen in ihrer Not zu politischer Manövriermasse zur Abschreckung anderer gemacht“ und müßten zurücktreten. Magdanz hatte Degner unter vier Augen erklärt, er habe nicht mehr Unterkünfte bereitgestellt, weil dann auch mehr Asylbewerber gekommen wären. Seinen Job bei der SPD hat Degner gekündigt, sei aber, wie er betont, besonders vom Fraktionsvorsitzenden Ringstorff „außerordentlich fair behandelt worden“.

Nächste Woche wird der Schweriner Landtag einen Untersuchungsausschuß zu den Rostocker Krawallen einsetzen. Der Vorsitz steht der CDU zu. Nach Ministerpräsident Berndt Seite und Innenminister Kupfer, die mehr Verständnis für die beifallklatschenden Zuschauer während der Krawalle als Mitgefühl mit den Flüchtlingen äußerten, erklärte nun auch Justizminister Herbert Helmrich (CDU), wie er zu Asylbewerbern steht. Auf die Frage, ob man etwa gegen Flüchtlinge „eine Mauer ziehen“ solle, antwortete er dem Mecklenburger Aufbruch: „Ja. Es geht gar nicht anders.“

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