KOMMENTARE
: Baunatal als Chance

■ Zur Entscheidung der hessischen SPD auf Beibehaltung des Asylartikels im Grundgesetz

Die Voten der Delegierten des Landesparteitages der hessischen SPD für die bedingungslose Beibehaltung des Asylartikels im Grundgesetz und gegen bewaffnete Blauhelmsoldaten im weltweiten Einsatz sind zwei schallende Ohrfeigen für den vorlauten Parteivorsitzenden Björn Engholm — und sie sollten für die Glaubwürdigkeit der bundesdeutschen Sozialdemokratie stehen. Zugegeben: Der hessische Sonderparteitag in Baunatal war kein Bundesparteitag. Noch muß die Partei auf Bundesebene den Nachweis dafür erbringen, daß sie sich gerade in der Asylpolitik nicht — wie es ein Delegierter am Samstag ausdrückte — von der Bundesregierung „in Geiselhaft“ nehmen läßt und ohne Not ein Grundrecht zur Disposition stellt.

Die bundesdeutsche Sozialdemokratie steht am Scheideweg: Die nicht nur von politischen Gegnern als „Partei der Umfaller“ apostrophierte SPD hat sich in den vergangenen Monaten in exorbitanten Politikfeldern immer wieder scheibchenweise die öffentlich demonstrierte Gesinnung für Kleingeld abkaufen lassen. Mit ihrer klaren Entscheidung gegen die von der Parteispitze in Petersberg beschlossene erneute Anpassung an den vermeintlichen „Mainstream“ haben die hessischen Sozialdemokraten nicht nur Glaubwürdigkeit in politischen Grundsatzfragen demonstriert. In Baunatal wurden auch Rezepte für eine eigenständige sozialdemokratische Asyl- und Einwanderungspolitik vorgestellt, die — in Anlehnung an die Vorstellungen von Daniel Cohn-Bendit (Die Grünen) — die SPD politisch wieder in die Vorhand bringen könnten: Einwanderungsgesetz, B-Status für Kriegsflüchtlinge und Asylrecht für politisch Verfolgte. Sogar die in Baunatal zur Grundgesetzänderung bereiten Sozialdemokraten (dies diene der Überwindung von „Sprachbarrieren zwischen Regierung und Opposition“, meinten sie) wiesen permanent darauf hin, daß eine solche Grundgesetzänderung — deren Ausformulierung bislang auch die Bundesregierung schuldig blieb — am angeblichen Unterbringungsnotstand in den Kommunen nichts ändern würde. Dies ist nur ein Beleg für die Notwendigkeit einer politischen Offensive gegen die „Brandstifter“ (Eichel) in Bonn — und in Rostock und anderswo.

SPD-Chef Engholm muß jetzt das Votum der Hessen als Chance begreifen und für eine solche politische Offensive nutzen. Auch wenn der Schienbeintritt aus Hessen schmerzt: Ein innerparteilicher Glaubenskrieg um Sinn oder Unsinn einer Grundgesetzänderung bei der SPD nutzt nur der Bundesregierung und den Rechtsradikalen — nicht den Sozialdemokraten und schon gar nicht den bedrohten Flüchtlingen. Klaus-Peter Klingelschmitt