: Oh, habe ich geheult! Schön!
■ Zwei Bremer Schwestern stöbern auf Flohmärkten nach Werken der Mädchenbuch-Autorin Berte Bratt / Nichts für Männer
Bücher
Es gibt Bücher, die legt man aus der Hand und hat sie schon vergessen. Und es gibt Bücher, in denen man lebt, die man immer wieder liest, für die man eine Fortsetzung sucht. Tausende von Romanserien leben von dieser Sucht nach mehr. Der Leser und Leserin tauchen in die Welt eines Autors, einer Autorin ein und wollen sie gar nicht mehr verlassen.
Für die Bremer Schwestern K. war es die Welt der Mädchenbuch-Autorin Berte Bratt, die sie nicht mehr losließ. Noch heute, 14 Jahre nachdem sie das erste Buch der Norwegerin gelesen haben, suchen sie auf Flohmärkten nach ihren Büchern. Mit der taz sprachen sie über ihre Lese-Erlebenisse. Doch weil sie bis heute nicht sicher sind, ob sie die Bücher wirklich gut finden dürfen, und weil bislang nur ihre besten FreundInnen von ihrer geheimen Leidenschaft wissen, wollten sie das Geheimnis ihrer Identität wahren. Als kleine Referenz an ihre Lieblingsautorin geben wir ihnen die Namen zweier Heldinnen ihrer Bücher: Anne und Beate.
Anne: Das Sammeln war ursrprünglich ein Gag. Und wir diskutieren auch mit unserer anderen Schwester ständig darüber, ob die Bücher nun mehr Niveau haben als andere Mädchenbücher. Wir suchen die ja immer auf dem Flohmarkt.
Beate: Dann sage ich immer „Das ist für meine kleine Kusine.“ Ich mit meinem Deutschleistungskurs ...
Das erste Berte-Bratt-Buch habe ich 1978 gelesen, das hatte ich zu Weihnachten bekommen. Damals habe ich geheult, als ich das fertig hatte. Das war „Meine Tochter Liz“, das fand ich einfach faszinierend. Oh, habe ich geheult!
Anne: Oder das mit der Blinden.
Beate: Ist das die Schwester von Rudi?
Anne: Nein, „Nina, so gefällst du mir“ ...
Beate: Ist das das mit Ibsen?
Anne: Nein, das ist das Buch, wo sie dann ihrer Freundin in der Pension hilft.
Beate: Ja! Wo die erst so ätzend ist! Das ist so schön, das ist ganz schön! — Was uns an diesen Büchern gefällt, ist, daß man in einer ganz anderen Geschichte Leute aus vorherigen Büchern wiederfindet. Wie in der Lindenstraße. Zum Beispiel in „Nur ein Jahr, Jessica“: Da ist die so allein in der fremden Stadt, und irgendwann trifft sie im Zoo die Bernadette, die man schon aus einem anderen Buch kennt. Da atmet man richtig mit auf...
Anne: Man kann nicht jedem ein Berte-Bratt-Buch in die Hand geben. Für Männer ist das nichts! Aber eine Freundin von mir hat letztens ein Buch in der Hand gehabt, und nach den ersten fünf Seiten hat sie gesagt: das ist doch schon total klar, wer wen zum Schluß kriegt. Aber sie hat die ganze Nacht durchgelesen.
Das ist nicht so, daß wir das verheimlichen. Bei guten Freunden ist das manchmal sogar ganz witzig, wenn man das erzählt. Aber wenn ich das jemand so an den Kopf knalle, denkt der, wie ist die denn drauf, sammelt Berte- Bratt-Bücher ...
Beate: Aber wir verarschen die Leute auch ein bißchen.
Anne: Besonders, wenn das so intellektuell angehauchte Leute sind und wir darauf keinen Bock haben, dann schockieren wir sie absichtlich.
Beate: Die Leute sind dann so ein bißchen pikiert, aber die haben bestimmt ihre eigenen Sachen, die sie nicht von sich preisgeben. Und wenn es Mickymaus ist. Ich denke: Jeder liest irgendeinen Scheiß. Comics oder Bildzeitung, was ich noch viel schlimmer finde. Wir wissen ja auch, wo wir es einordnen.
Anne: Da sind einfach auch andere Sachen wichtig, und ich lese das gerne, wenn es mir schlecht geht oder ich mich ausruhen will.
Beate: Es gibt in diesen Büchern immer eine Phase, wo du hemmungslos heulen kannst, das braucht man, wenn es einem schlecht geht. Daß am Ende alles wieder gut wird, will man ja auch für sich selbst. Und zwischendurch, die Phase, wo man so heult, die braucht man auch. Im Grunde baut man dadurch Streß ab.
Anne: Man könnte ja sagen, das bringt nichts Neues, aber ich glaube, das will man in solchen Momenten gar nicht.
Beate: Im Grunde ist das doch furchtbar, wenn man sich dafür schämt, was man gern liest. Ich habe immer noch den Anspruch aus der Schule, gute Literatur oder gutes Deutsch zu lesen. Ich ärgere mich über falsche Formulierungen, aber ich ärgere mich nicht über schlichte Formulierungen und einfache Bücher.
Die Bücher sind im Grunde Liebesromane, aber diese Frau bringt noch andere Sachen rüber. Ihre grundsätzliche Lebenseinstellung, zum Beispiel: Warum nein sagen, wenn du auch ja sagen kannst. Das hat mich immer fasziniert, weil ich ein total negativer Mensch bin. Ich bin völlig pessimistisch. Wenn ich zu jemand ganz ungerecht bin und ätzend, dann denke ich manchmal daran. In solchen Situationen geben mir die Berte-Bratt-Bücher was. Warum immer nur denken, die Menschen wollen was Schlechtes?
Ich denke auch, daß diese Frau wirklich religiös ist. Ich selbst habe ja mit der Kirche nichts am Hut. Aber sie hat nicht dieses ätzende Missionsverständnis. Sie vermittelt ihre Religiosität einfach in dieser positiven Lebenseinstellung.
Und manchmal denke ich, ich muß mir vielleicht meine eigene Lebenssituation ein bißchen bewußter machen. Ich lebe so vor mich hin, aber daß es mir gut geht, sage ich mir viel zu selten. Das ist schon irgendwo albern, daß man das alles aus irgendwelchen Mädchenbüchern zieht ...
Anne: ... auch gezogen hat, weil wir die ja auch mit 12 gelesen haben.
Beate: Ich hab sie aber auch gelesen, als ich 25 war. Aber ich erinnere mich an sehr viel. Wenn ich andere Mädchenbücher gelesen habe, habe ich sofort vergessen, was da passiert ist. Ich habe nie andere Mädchenbücher gesammelt: Hanni und Nanni fand ich platt bis zum Geht-nicht-Mehr. Da geht es ja nur ums Internat, aber diese Bücher regen dich an, über Tiere, über Nächstenliebe oder über Andersfarbige nachzudenken. Das ist irgendwo auch alles ein bißchen schlicht, aber es gibt genug Bücher für 12-, 13jährige, in denen das überhaupt nicht angesprochen wird.
Anne: Was mich zum Beispiel auch fasziniert hat: Daß das alles in Skandinavien spielt. Und früher hatte ich zu Skandinavien überhaupt keine Beziehung. Und wenn ich heute einen Ort auf der Landkarte sehe, bringe ich das mit Geschichten aus diesen Büchern in Verbindung.
Beate: In den Büchern kommt auch ganz oft vor, daß die Mädchen ins Ausland gehen. Dadurch wird man angeregt, im Ausland eine Ausbildung zu machen oder zu studieren. Sich für fremde Menschen zu interessieren oder für fremde Sprachen. Klar, daß die sich in diesen Büchern immer eindeutig gegen Karriere und für Familie entscheiden, ob man das befürwortet, ist eine ganz andere Frage.
Aber auch Kunst, Musik oder gestaltende Kunst haben mir diese Bücher näher gebracht.
Anne: Das war ganz wichtig. Ich habe Ibsen gelesen, weil der in den Büchern so oft erwähnt wird.
Aus den Büchern zieht man ein bißchen mehr raus. Die sind nicht einfach nur spannend oder unterhaltend.
Beate: Was ich auch immer beeindruckend fand, war das Ziel, das die haben. Das sind oft Künstler, deren Lebensinhalt es ist, Kunst zu machen. So etwas ganz und gar zu machen, das fand ich toll. Und ich hatte nie das Gefühl, das ist völlig übertriebener Eifer oder Ehrgeiz. Die wußten einfach, was sie wollten. Klar, manchmal hat mich das auch genervt. Oder das war mir zu dick aufgetragen. Ich denke nicht, daß diese Bücher von vorne bis hinten einfach geil sind. Aber irgendetwas Besonderes müssen sie haben, sonst hätte ich sie nicht immer wieder gelesen.
Die sind doch nicht so anspruchslos. Wenn ich mir das jetzt überlege, was wir hier alles geredet haben, was ich da alles für mein persönliches Leben rausgezogen habe, dann müssen das gute Bücher sein, ehrlich!
Zusammengestellt von
Diemut Roether
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