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Unmut vor der Wahl des Polizeipräsidenten

■ Grüne/Bündnis 90 erheben schwere Vorwürfe gegen Hagen Saberschinsky/ Der BKA-Mann soll an einer spektakulären Lauschaktion des BKA im ersten Quartal 1974 beteiligt gewesen sein/ Für die Grünen ist er als Polizeipräsident nicht tragbar

Berlin. Am 17. September soll Hagen Saberschinsky vom Abgeordnetenhaus zum neuen Polizeipräsidenten gewählt werden. Bereits im Vorfeld sorgt der Kandidat für Unmut. Die Grünen/Bündnis 90 werfen ihm vor, bei der Anhörung vor ihrer Fraktion gelogen zu haben. Wie der sicherheitspolitische Sprecher Wolfgang Wieland erklärte, habe Saberschinsky bei der Vorstellungsrunde am letzten Dienstag behauptet, daß unter seiner Verantwortung das BKA nicht im politischen Raum tätig geworden sei. Er habe auf Nachfrage mögliche Einsätze gegen Streiks bestritten. Dies widerspricht jedoch Erkenntnissen, die der Grünen-Politiker mittlerweile gesammelt hat. Danach soll Saberschinsky an einer spektakulären Lauschaktion seiner Behörde beteiligt gewesen sein: Im ersten Quartal 1974 zeichneten die Bundeskriminalbeamten die Telefongespräche des damaligen Vorsitzenden des »Verbandes Deutscher Flugleiter« (VDF), Wolfgang Kassebohm, und weiterer Funktionäre des Verbandes auf. Die Aktion wurde vorgeblich mit dem Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung begründet.

Wie Saberschinsky sich nun erinnert, sei es wegen des Verdachts der Nötigung von Verfassungsorganen geschehen.

Seinerzeit beherrschte der sogenannte Fluglotsenstreik die innenpolitische Debatte in Deutschland. Die Lotsen hatten mit ihren Bummelstreik 1973 den Flugverkehr teilweise lahmgelegt, um höhere Tarife durchzusetzen. Nach dem Abbruch der Kampfmaßnahmen wollte die Bundesregierung die Verbandsfunktionäre für diesen Dienst nach Vorschrift haftbar machen. Mit der Telefonabhöraktion, so wurde damals gemutmaßt, sollte Kassebohms Truppe nachgewiesen werden, daß sie den Streik organisiert hätten. Der Nachweis mißlang, die Aktion war ein Schlag ins Wasser.

Im BKA wurde sogar erwogen, die VDF-Funktionäre zu observieren. Ein entsprechender Antrag der eigens gebildeten Sonderkommission 10 des BKA mit den Namen von 22 führenden VDF-Mitgliedern wurde im Januar 1974 von Hagen Saberschinsky unterzeichnet.

Für Wieland hat sich damit bestätigt, daß mit Saberschinskys Wahl zum Polizeipräsidenten »Drakula zum Chef der Blutbank gemacht« wird. Der »laxe Umgang mit den Methoden verdeckter Ermittlung« sorgt den grünen Parlamentarier um so mehr, als nach der neuen Berliner Gesetzeslage der Polizeipräsident derjenige ist, der den Einsatz verdeckter Ermittler und die polizeiliche Beobachtung anordnet.

Nachdem Saberschinsky nach Meinung der Grünen gelogen hat, ist er für sie zudem als Polizeipräsident nicht tragbar, da eine wahrheitsgemäße Unterrichtung des Parlaments nicht zu erwarten sei. Dieter Rulff

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