: Der wortreiche Schweiger aus Friaul
Der Italiener Gianni Bugno verteidigt nach enttäuschender Saison überraschend seinen Weltmeistertitel im Profi-Radsport/ Tour-Sieger Miguel Induráin nur Sechster ■ Aus Benidorm Ole Richards
Der Spanier Miguel Induráin triumphierte in diesem Jahr bei den schwersten Rundfahrten der Radprofis. Nach Eddy Merckx (1974) und Stephen Roche (1987) hatte der 28jährige Baske die Chance, nach Giro d'Italia und Tour de France auch die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Er galt als größter Favorit.
Der Schweizer Tony Rominger siegte zu Beginn dieser Saison überlegen bei der Spanien-Rundfahrt. Danach entging er in seinem Wohnort Monaco erstmals seit Jahren dem Heuschnupfen, startete nicht bei Giro und Tour, um sich penibel auf die WM in Spanien vorzubereiten. Er war ein chancenreicher Kandidat.
Der Italiener Gianni Bugno hatte in diesem Jahr noch nichts gewonnen. Oder doch. Drei Tage vor der Tour de Suisse rollte er bei einem unbedeutenden Kriterium in Frankreich als Erster ins Ziel. Die Italien- Rundfahrt ließ er aus, weil er sich ganz auf die Tour konzentrieren wollte — und wurde in seiner Heimat ausgeschimpft. Die Schleife in Frankreich beendete er chancenlos als Dritter — und wurde ausgelacht. Er war nichts, als in Benidorm am Mittelmeer die Weltmeisterschaft der Profis begann.
Als in der achten von zwölf 21,8 Kilometer langen Runden erstmals eine Gruppe ausriß, gehörten Tony Rominger und zwei weitere Schweizer zu den acht Angreifern. Für den ersten WM-Sieg des Alpenlandes seit Ferdi Kübler 1951 hatte der Schweizer Verband 150.000 Franken ausgelobt. Die Summe sollte vom Teamchef Paul Köchli entsprechend der geleisteten Arbeit auf die zwölf Radler aufgeteilt werden. Rominger und Co. wurden Ende der neunten Runde wieder eingeholt. Induráin und Bugno waren nicht zu sehen. Als das Feld zum elften Mal in die Berge hechelte, schoß Miguel Induráin pfeilartig an die Spitze. Ein zigtausendfacher Schrei der Begeisterung erfüllte die Luft über der Hotelstadt Benidorm. Hier trainierte „San Miguel“ viele Wochen, hier leben seine zukünftigen Schwiegereltern, hier sollte er gekrönt werden. An seinem Hinterrad strampelte der Mann, mit dem Induráin in diesem Jahr öfter zusammen war als mit seiner Verlobten: Claudio Chiappucci (Italien). Auch Rominger gehörte wieder zum Spitzenquartett, von Bugno nichts zu sehen. Die Ausreißer wurden eine Runde vor Schluß eingefangen.
2.000 Meter vor dem Ende des 261,6 Kilometer langen Rennens konnten nur noch 17 Fahrer gewinnen. Dabei auch Jens Heppner, der am Ende 11. wurde. Siegchancen konnte er sich zwar nicht ausrechnen, aber ein Platz weiter vorn wäre drin gewesen, wäre er nicht einem fatalen Irrtum aufgesessen: „Ich dachte, auf der Zielgeraden wäre vor uns noch eine andere Gruppe. Deshalb habe ich mich im Sprint nicht besonders angestrengt.“ Vom Meer aus ging es die letzten 500 Kilometer bergauf. 350.000 Zuschauer hatten sechseinhalb Stunden auf diesen Moment gewartet. Miguel Induráin spurtete wie noch nie in seinem Leben. Aber spurten kann er nicht. Der mit zwei Millionen Mark pro Jahr bestbezahlte Fahrradfahrer der Welt wurde Sechster. Die Spanier haben zu viel Ahnung vom Radsport, um enttäuscht von ihm zu sein. Traurig war der Held dieses Jahres, der seine Saison nun nicht als Weltmeister beenden konnte, trotzdem.
Tony Rominger kann auch nicht besser sprinten. Er war als einziger in allen Spitzengruppen des WM- Rennens mitgefahren. Dennoch wurd der Schweizer nur Vierter. Sein Radsportverband spart 150.000 Franken. Das ärgert Rominger, der Mann dieses Tages will nun wenigstens noch die Lombardei-Rundfahrt im September gewinnen.
Gianni Bugno hielt sich lange im Windschatten seiner Landsleute auf. Der „beste Wasserträger der Welt“, Giancarlo Perini, zog auf der Strandpromenade perfekt den Spurt an. Am Fuß des Zielberges war der Weg frei, der Russe Konyschew hatte keine Mannschaftsunterstützung, der Franzose Jalabert nicht mehr genug Kraft. So zog der Norditaliener das Trikot wieder an, das er erst einen Tag vorher ausgezogen hatte, das Regenbogendress des Weltmeisters.
Bugno darf nun bei jedem „Eierkuchenrennen“ 20.000 Mark Gage verlangen, er darf in Italiens Team wieder die Kapitänsrolle übernehmen, und er darf sagen: „Hier ist der Champion.“ Der Schweiger aus Friaul macht allerdings auch dazu nicht den Mund auf. Er blickt nur in die Runde, und alle wissen — da schweigt wortreich der Triumphator der Stunde.
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