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Das Kino und die Menschenrechte

Zhang Yimous erster chinesischer Gegenwartsfilm „Die Geschichte der Quiju“ in Venedig vorgestellt  ■ Aus Venedig Christiane Peitz

In Cannes, sagt man, gibt es den meisten Glamour. Die Berlinale gilt als das politische unter den europäischen Filmfestivals und Venedig ist für die Kunst zuständig. Die italienische Presse informiert bei Zhang Yimous neuem Film denn auch weniger über Zensur und Kulturpolitik in China als über die Garderobe der Hauptdarstellerin Gong Li und ihre Weigerung, den Journalisten ihr Privatleben preiszugeben. Dennoch streiten die Filmkritiker über die politische Aussage der Festivalbeiträge nirgendwo soviel wie hier. Vielleicht ein Zauberberg-Effekt: Die Schönheit Venedigs läßt sich anders möglicherweise nicht ertragen.

Ist Tavernier ein Reaktionär, weil er in seinem neuem Film Auf offener Straße das Drogenproblem aus Polizeisicht betrachtet? Ist Iosseliani ein georgischer Syberberg und Anti-Demokrat, weil er in La Chasse aux Papillons die alten Zeiten beschwört? Trauert er gar dem zaristischen Rußland nach oder konstatiert er nur, daß jeder gesellschaftliche Umbruch Zerstörung mit sich bringt? Darf man Ousmane Sembenes konventionelle Bildersprache kritisieren, ohne dabei mit eurozentristischer Arroganz die Bedingungen afrikanischer Filmproduktion zu ignorieren?

Seit gestern dreht sich die Diskussion um den Schluß von Zhang Yimous neuem Film Die Geschichte der Quiju. Anders als Die rote Laterne hat er ihn in China gedreht; sein letzter Film zeigt Zensur und Unterdrückung, sein neuer Film ist unter den Bedingungen der Zensur enstanden. Die junge Quiju (Gong Li, Hauptdarstellerin aller Yimou-Filme), frisch verheiratet und schwanger, will sich mit einem Unrecht nicht abfinden. Ihr Mann ist vom Dorfältesten verprügelt und schwer verletzt worden, sie fordert nicht nur Geld für den Verdienstausfall, sondern eine Entschuldigung. Der Funktionär will zwar zahlen, aber weigert sich, seinen Fehler öffentlich einzugestehen. Quiju geht zur Dorfpolizei, zur Distriktleitung, zum städtischen Gericht: ein Behördenmarathon durch sämtliche Berufungsinstanzen für das Recht auf Menschenwürde. Quiju absolviert ihn trotzig und ohne viele Worte zu machen; Yimou folgt ihr auf den mühsamen Wegen durch ein kaltes, winterliches China. Kein schöner Film wie Die rote Laterne, der Wert legte auf die Ästhetik der Bilder, sondern der Versuch, ein Stück Wirklichkeit zu zeigen.

Und dann dieser Schluß: Quiju stirbt fast bei der Geburt ihres Kindes, der Dorfälteste holt Hilfe und rettet ihr das Leben. Quiju lädt ihn zum Fest ein, und man erwartet nun, daß die Geschichte kulminiert. Daß die Prozeßgegner zusammen feiern, um am nächsten Tag ihren Streit vor Gericht auszutragen. Aber Yimou macht das Gegenteil: Überraschend wird der Dorfälteste doch noch verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Die letzte Einstellung zeigt Quijus fassungsloses Gesicht in Großaufnahme; sie bereut — zu spät. Mit diesem Bild erzählt uns Yimou, wie falsch es sein kann, auf sein Menschenrecht zu beharren. So verrät er seine Heldin. In China hat der Film schon einen Preis bekommen.

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