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Der Retter des Vaterlands

Vor der Kathedrale von Reims beginnt Le Pen seinen Kreuzzug gegen Maastricht/ „Eine Schar von Schatten marschiert an unserer Seite!“/ Dem rechtsextremen Führer gelingt es nicht, alleiniger Wortführer des Nein in Frankreich zu werden  ■ Aus Reims Bettina Kaps

Kein Zutritt für Beter: Die Tore der Kathedrale von Reims sind verrammelt. Auch der sonnenüberflutete Vorplatz bleibt an diesem Sonntag vormittag leer. Hinter Absperrgittern wachen Polizisten, daß die Kirchenruhe nicht gestört wird. Denn im Gefolge von Jean-Marie Le Pen haben sich die falschen Gläubigen angesagt. Der Führer der rechtsextremen Front National hat Reims auserkoren, um seine Kampagne gegen Maastricht zu starten, und die Kathedrale soll dabei den symbolträchtigen Rahmen bilden.

„12 Uhr: Jean-Marie Le Pen nimmt am Hochamt teil. 12 Uhr 30: Die Sympathisanten versammeln sich auf dem Vorplatz. 13 Uhr: Der Präsident der FN hält seine Rede.“ So war es geplant, ein feierliches Programm, um die sakrale und spirituelle Dimension des Hoffnungsträgers zu unterstreichen, der zum Kreuzzug gegen den europäischen Einigungsvertrag aufruft. Denn hier wurden im Mittelalter Frankreichs Könige gekrönt, und auch Johanna von Orleans, die unfreiwillige Heldin der rechtsextremen Partei, war schon in der Kathedrale, als sie den Dauphin Karl durch das von Engländern besetzte Land zur Krönung geleitet hatte. Doch Erzbischof Jean Balland hat das Programm durchkreuzt. Damit die Kathedrale nicht als Dekor für Politik und Ideologie mißbraucht wird, sagte er eine Woche zuvor alle Sonntagsmessen ab. Der Staat ging ihm zur Hand und verbot auch den Vorplatz; der Präfekt berief sich auf das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat. Dennoch hielt Le Pen an einem Auftritt in Reims fest.

Das Vorgeplänkel hat die Fans in Stimmung gebracht. Nicht umsonst begibt sich ihr Idol immer wieder an den Rand der Provokation, riskiert Sanktionen, und stellt sich dann als Opfer mächtiger Verschwörer dar. Diesmal also haben ihn — so Le Pen— „ein progressistischer Bischof und ein marxistischer Präfekt“ der Freiheit beraubt. „Die Leute der Front werden terrorisiert“, sagt eine Hotelführerin aus Metz, die sich Le Pens Vokabular zu eigen gemacht hat. Wie viele Frauen trägt auch sie zur Feier des Tages ein weißes Seidentuch, auf dem blau-weiß-rot kleine Flammen züngeln, das Symbol der Front National. „Heute können wir hier nicht mal zur Kirche gehen, und unseren Führer dürfen wir auch nicht in Ruhe anhören! Dabei sind wir gar nicht rechtsextrem, wie immer gesagt wird, sondern nur rechts und national. Wir leben in einer Diktatur!“ Auf Parteiveranstaltungen bieten die FN-Leute jedoch kein unterdrücktes Bild. Zudem trägt der kraftstrotzende Ordnungsdienst zur Gruppenstärke bei. Mit Andernsdenkenden wird nicht gespaßt: Ein Pärchen, das ein Schild „Ja zu Maastricht“ in den Händen hält, wird von den Umstehenden rüde gerempelt. „Provokateure“, sagt eine Frau mit grauer Dauerwelle und rümpft die Nase. „Die haben hier nichts zu suchen.“

Endlich kommt Le Pen, umrahmt von gewählten Regionalräten der Front National in blau-weiß-roten Schärpen, die an den letzten Erfolg der FN erinnern: Im März eroberte die Partei noch 14 Prozent der Wählerstimmen und 240 Sitze in den Regionalräten. Doch seither ist es um die Rechtsextremen erstaunlich still geworden. Und obwohl Le Pen, selbst Abgeordneter im Europaparlament, als einer der ersten in Frankreich ein Referendum gefordert und das Nein zu Maastricht propagiert hat, ist er in der Debatte um das Für und Wider des Vertrags seltsam abwesend. Als „Führer des Neins“ haben sich andere profiliert, allen voran die gaullistischen RPR-Abgeordneten Philippe Seguin und Charles Pasqua. Die beiden sind Rebellen im eigenen Lager, denn Parteichef Jacques Chirac kämpft für das Ja. Während allein Seguin 40 Auftritte für das Nein absolviert, begnügt sich Le Pen mit dem Auftakt in Reims und einer Schlußkundgebung in Paris — beschuldigt zugleich aber die Anhänger des Ja, sie hätten „den öffentlichen Raum kolonisiert“. Die Verbote in Reims dienen Le Pen als Beweis dafür, „daß der Front National eine der wenigen Möglichkeiten genommen werden soll, an der Kampagne teilzunehmen“.

„Im Geist der Versöhnung“ — so die Partei — verzichtet er nun notgedrungen auf den Gottesdienst. Nicht jedoch auf das Bühnenbild: die Kathedrale (und die Absperrgitter) im Rücken, spricht er zum Volk. Das Rednerpult ist so nah wie möglich an der Kirche aufgebaut, in der Straße, die direkt auf den Platz und das Hauptportal der Kathedrale mit den beiden stumpfen Türmen zuführt — allein der Straßenname paßt nicht ins Drehbuch: Le Pen deklariert sich in der Rue Rockefeller zum Retter des Vaterlandes.

„Heute soll das Volk guillotiniert werden!“

Es ist eine treue Schar, die sich von Le Pen Geschichtsunterricht geben läßt. Die gut 2.000 Anhänger der Front hören im Stehen anderthalb Stunden lang andächtig zu, wie er ein Jahrtausend Revue passieren läßt. Danach ist auch dem letzten „Lepenisten“ klar, daß der Kampf gegen Maastricht ihren Führer in eine Reihe stellt mit allen französischen Helden von Chlodwig („dem ersten Chef“) über Karl Martell („der 732 die Araber niedergemacht hat“) bis hin zu den „Soldaten, die in Indochina und Algerien betrogen wurden“. Le Pen malt ein gespenstisches Bild. „Alle Soldaten und Märtyrer, eine Schar von Schatten marschiert an unserer Seite“, ruft er und erklärt sich zum General der Schlacht, in der „wir das wertvollste Gut von allem verteidigen: die Unabhängigkeit des Vaterlandes. Französinnen, Franzosen, la patrie ist in Gefahr. Erhebt euch, um die Komplizen des Verrats herauszuwerfen“, ruft er mit gewaltiger Stimme und verlangt Strafe für die Sozialisten: „Ich klage die Machthaber an, weil sie die Flagge Frankreichs beschmutzt haben. In eurem Namen habe ich die Flagge aus dem Schmutz gehoben und gegen mein Herz gepreßt.“

Bei so viel Patriotismus braucht es kaum noch Argumente. Le Pen faßt den Rest seiner Rede daher kurz: Maastricht zerstöre die nationale Identität. Zudem sei es „kriminell“, einen solchen Vertrag „mit einem besetzten Land“ zu schließen — gemeint ist „Deutschland, wo 400.000 russische Soldaten mit modernsten Waffen stehen“. Wahlrecht für Ausländer, das „Verbot“ einer eigenen französischen Einwanderungspolitik — „hinter all dem verbergen sich andere Absichten“, warnt Le Pen, wähnt einmal unter brausendem Applaus ein Komplott von Freimaurern am Werk, ein anderes Mal macht er den „mondialistischen Konstruktivismus“ der Sozialisten als Ursache des Übels aus. „Heute soll das Volk guillotiniert werden. Der Papst soll in New York sein, die Hauptstadt des Reiches in Brüssel, und der Kult des Goldenen Kalbs wird das Christentum ablösen.“ Die Zuhörer sind überzeugt. „Le Pen hätte im Fernsehen gegen Mitterrand antreten müssen“, ruft ein Chirurg aus Straßburg. „Er ist der Anführer der Maastricht- Gegner. Doch die Medien boykottieren ihn. Keiner vertritt das Nein so gut wie er.“

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