: Interview zu Herz, Schmerz und dies und das...
■ Dr. Slim Nesskwick leitet das Institut für psychologische Fernsehforschung an der Uni Lüneburg
Kontakt-, Flirt- und Liebesshows nehmen in dramatischer Weise zu. In vier Wochen geht der Klassiker und das Vorbild dieser Sendungen, Rudi Carrells „Herzblatt“, mit 25 neuen Sendungen ins sechste Jahr. Das Interesse an der telegenen Entblößung der Seele scheint ungebrochen. Aus diesem triftigen Grund befragte die taz Slim Nesskwick.
taz: Uns steht momentan eine Flut von Liebesshows bis zum Hals. Was geht in den Herzen der deutschen Fernsehzuschauer vor?
Nesskwick: Ach wissen sie, die psychologische Fernsehforschung (PFF, Anm. d. Red.) ist eine junge Disziplin, und dennoch haben wir schon eine gesicherte Erkenntnis erlangt: Das Problem ist eigentlich uralt, und ich denke, es ist ein Fehler, traditionelles Verhalten plötzlich umzudeuten, nur weil als neuer Faktor das ungeliebte Medium hinzukommt. In der Antike galt die Liebe zum Beispiel als kosmisches Ereignis, dahin kehrt sie heute quasi — via Satellit — wieder zurück.
Bitte?
Scherz beiseite, in den Fernseher zu schauen ist eine einfache Übung, zusätzlich gepaart mit dem Reiz, Neues, Aufregendes, Unterhaltendes zu konsumieren; und vollkommen gefahrlos. Es ist schon zu vergleichen mit dem gespannten Lauschen nachbarlichen Streites, dem Schlüssellochgucken, eine typische Spanner-Symptomatik.
Also in gewisser Weise pervers?
Meine Güte, was ist schon pervers! Freud hat das mal als Folge von Störungen im Sexualstoffwechsel bezeichnet, wir nennen es eher eine Art televisionären Autoerotismus, der übersteigerte Narzißmus macht eine konkrete Objektbesetzung überflüssig.
Das Fernsehen ist also nicht schuld?
Nicht unbedingt. Es ist ja nicht nur so, daß sich Millionen von Menschen solche Sendungen anschauen, bedenken sie, wieviel Zeitschriften der Yellow press wöchentlich verkauft und gelesen werden, wo die Leser unbedingt teilhaben wollen an mehr oder weniger sauberen Liebesgeschichten. Ich nenne nur die Stichworte Fergie, Diana oder Mr. Allen.
Ja aber muß denn das Fernsehen auch noch die soziale Kontaktfunktion übernehmen?
Sie dürfen nicht vergessen, daß wir in einer Marktwirtschaft leben. Somit ist der moderne Mensch fast schon gezwungen, sich neuer Technologien zu bedienen, um auf dem Liebesmarkt bestehen zu können. Ein Kandidat in einer Liebesshow handelt nicht anders als ein Inserent von Kontaktanzeigen, er bietet sich nur in einem anderen Medium an, ist somit im Fernsehen präsenter und erfolgreicher. Außerdem hat ein telegen präsentierter Kandidat einer Flirtshow keinen Mundgeruch. Das macht vieles leichter.
Das klingt ja so wie beim Autoverkauf.
Im Prinzip schon. Ob sie nun in der Zeitung inserieren, VW Golf, Baujahr 88, TÜV 94, gut gepflegt mit Extras, oder M, 31, 188, 81, NR, ohne Bart, reich und berühmt, bleibt sich gleich, das Objekt ist anders, und wie gesagt, bei der eigenen Eitelkeit hört der Spaß auf. Der zusätzliche Reiz an den Flirtshows besteht dabei in der besonderen Konkurrenzsituation, der Kandidat muß sich ja gegenüber anderen anpreisen. Zu dieser Problematik hat Goethe in seinen „Wahlverwandtschaften“ Bemerkenswertes geschrieben: „Doch wer ist so gebildet, daß er nicht seine Vorzüge gegen andere manchmal auf eine grausame Weise geltend machte!“
Das hört sich aber brutal an. Nun sollen diese Shows aber doch eher harmonisch wirken.
Natürlicherweise ist der Markt brutal. Die soziale Komponente, das Regulativ sozusagen, besteht in der Vorauswahl der Kandidaten durch den Sender. Somit ist genügend Sorge getragen, daß weder häßliche Monster noch kreuzdumme Deppen gegen brillierende Supermänner und -frauen anzutreten haben. Das sichert die Akzeptanz der Zuschauer und den Respekt unter den Kandidaten. Natürlich geben solche Methoden die Realität nicht wieder, aber der geregelte Rahmen darf halt nicht gesprengt werden.
Nun wird in solchen Sendungen manchmal doch sehr Intimes, Anzügliches oder gar Ordinäres recht unverschämt feilgeboten.
Das empfinden Sie so, aber der Drang nach irgend so was wie Liebe treibt die Menschen seltsamerweise so weit, sich vollkommen zu entblößen und somit zwangsweise abzustumpfen. Ein interessanter Widerspruch. Jeder muß sich individuell und besonders präsentieren, um erfolgreich zu sein, der Anreiz hierfür wird immer weiter getrieben. Wie schon gesagt, das Fernsehen bietet dafür die sauberste und unberührbarste Lösung.
Vielen Dank für dieses Gespräch. Interview: nihil
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen