piwik no script img

Ost-Rezession genau ausgerechnet

■ Statistisches Bundesamt erfaßt die Wirtschaftsentwicklung der neuen Bundesländer erstmals amtlich exakt — unter heftigster Verwendung des Minus-Zeichens/ Einkommen sind allerdings gestiegen

Wiesbaden/Berlin (dpa/taz) — Die Misere der ostdeutschen Wirtschaft ist seit gestern amtlich in Zahlen und Daten erfaßt. Das Statistische Bundesamt legte für die neuen Bundesländer erstmals eine Konjunkturanalyse nach den für die alte Bundesrepublik üblichen Standards vor und bestätigte en detail das Offensichtliche: Seit Einführung der Marktwirtschaft herrscht Rezession im Osten. Das Bruttoinlandsprodukt, das alle im Inland geschaffenen Güter umfaßt, lag im 2. Halbjahr 1991 real um 11,4 Prozent unter dem Wert des gleichen Zeitraums 1990.

Die Arbeitsproduktivität der Ostdeutschen allerdings ging, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, nach oben: die Zahl der Erwerbstätigen zwischen Rostock und Zwickau schrumpfte nämlich mit 18,7 Prozent noch weitaus stärker als die Wirtschaft.

Die Arbeitsproduktivität erhöhte sich real um neun Prozent; erreichte aber gleichwohl damit lediglich knapp ein Drittel (32 Prozent) des westdeutschen Niveaus.

Nach Berechnungen der Statistiker erhöhten sich die frei verfügbaren Haushaltseinkommen in den neuen Bundesländern binnen Jahresfrist um 32,3 Prozent auf zusammen 113,5 Milliarden DM.

Im Durchschnitt kamen Arbeiter und Angestellte auf monatliche Bruttobezüge im 2. Halbjahr 1991 von 2.080 DM. Sie erreichten damit gut die Hälfte des westdeutschen Niveaus. Im Vorjahresvergleich legten Löhne und Gehälter um 52,9 Prozent zu. Die starke Zunahme wurde nach Feststellung des Bundesamtes wesentlich durch Sonderzahlungen wie einmalige Abfindungen und Weihnachtsgeld beeinflußt, die es zuvor so nicht gab.

Die hohen Steigerungen bei Mieten, Verkehrstarifen und Energiepreisen ließen aber auch den Preisindex des ostdeutschen Bruttosozialprodukts vom 2. Halbjahr 1990 zum 2. Halbjahr 1991 um mehr als ein Fünftel (21,4 Prozent) klettern. Unterm Strich haben die ostdeutschen VerbraucherInnen also heute deutlich mehr Geld zur Verfügung als 1990.

Beim Bruttosozialprodukt — das auch die Außenbeitrag enthält — fiel der wirtschaftliche Rückwärtsgang etwas moderater aus: Es reduzierte sich von Juli bis Dezember 1991 im Vergleich zum 2. Halbjahr 1990 um 7,7 Prozent. Ursache dafür ist die unterschiedliche Berechnungsgrundlage: Die Einkommen von ostdeutschen Beschäftigten, die nach Westdeutschland zur Arbeit pendeln, tragen in den neuen Ländern nicht zum Bruttoinlandsprodukt bei, wohl aber zum Bruttosozialprodukt.

Ein Aufschwung ist noch nicht in Sicht

Bei den Ausrüstungsinvestitionen verzeichneten die Statistiker eine sehr deutliche Zunahme um 70 Prozent. Das ist allerdings „wegen des geringen Ausgangsniveaus“ nicht unbedingt als Hoffnungsschimmer zu werten. Der private Verbrauch und der Staatsverbrauch haben nach Angaben des Bundesamtes um 3,7 und 3,3 Prozent zugenommen, während die Bauinvestitionen um 0,7 Prozent zurückgegangen seien.

Auf einen baldigen Aufschwung Ost lassen auch die neuesten Zahlen aus dem Bundeswirtschaftsministerium nicht hoffen. In den Monaten Mai und Juni schrumpfte die gesamte ostdeutsche Produktion im Vergleich zu März und April um weitere fünf Prozent.

Von den großen Industrie-Bereichen meldete im Zweimonatsvergleich nur das Bauhauptgewerbe eine Zunahme (2,5 Prozent), während die Produktion in den anderen Bereichen zum Teil deutlich eingeschränkt wurde: Elekrizitäts- und Gasversorgungsbetriebe minus 10,5 Prozent, Bergbau minus 18,0 Prozent und Verarbeitendes Gewerbe minus 5,0 Prozent. Innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes nahm die Produktion bei allen Hauptgruppen ab: Grundstoffe und Produktionsgüter minus 6,5 Prozent, Investitionsgüter minus 5,0 Prozent, Verbrauchsgüter minus 6,0 und Nahrungs- und Genußmittel minus 3,5 Prozent. dri

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen