: "Jörgl packt die heißen Eisen an"
■ Der Mann weiß angeblich, wie schon mal ein Österreicher vor ihm, was gut ist für die Deutschen. Was der FDP-Spitze zunächst "inopportun" erschien - am Montag abend durfte er den Liberalen in...
„Jörgl packt die heißen Eisen an“ Der Mann weiß angeblich, wie schon mal ein Österreicher vor ihm, was gut ist für die Deutschen. Was der FDP-Spitze zunächst „inop- portun“ erschien — am Montag abend durfte er den Liberalen in Bad Canstatt erklären, wie man etwa ordentliche Asylpolitik macht.
Das hätte man sich in Rostock gewünscht: Hunderte von Polizisten, ausgerüstet mit allem, was der postmoderne Staat an Aufstandsbekämpfungsgerät zu bieten hat, kesselten nach dreimaliger Entmummungsaufforderung „ruck, zuck“ den vermeintlich harten Kern von knapp 2.000 Demonstranten ein. Die Leuchtgiraffen leuchteten, der Greiftrupp, ausgerüstet mit kugelsicheren Westen und langen Holzknüppeln, griff zu — und die Pferdestaffel ritt stolz eine Attacke.
Es waren jedoch keine Skinheads oder mit Alk gedopte Jungmänner, die am Montag abend im Stuttgarter Stadtteil Bad Canstatt wehrlose Flüchtlinge angriffen. Im Gegenteil: Die Demonstranten in Bad Cannstatt hatten gerade friedlich gegen den ersten offiziellen Auftritt des Rechtsauslegers der Alpenrepublik Österreich, Jörg „Jörgl“ Haider von der Freiheitlichen Partei (FPÖ), protestiert, den die FDP ins noble Kurhaus eingeladen hatte. Ein paar Vermummte von der linken „Haß-Front“ mit den üblichen Parolen auf den Lippen — „Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten!“ — genügten, um an diesem lauen Abend den aus allen Landesteilen zusammengezogenen Polizeiapparat in heftige Schwingungen zu versetzen. Bereits im Vorfeld der angemeldeten Demo und der antifaschistischen Kundgebung, auf der Jutta Ditfurth und andere RednerInnen den Aufstieg Haiders mit dem eines anderen Österreichers zu Weimarer Zeiten verglichen, nahm die Polizei etwa ein Dutzend Demonstranten „in Gewahrsam“, bei denen Benzinkanister und Schlagstöcke sichergestellt worden seien — so die Darstellung eines Polizeisprechers.
„In dieses Land kam schon einmal einer aus Österreich. Und der hat Tod und Verderben über uns und andere gebracht“, fauchte ein alter Antifaschist vor dem Kurhaus die kahlköpfigen Fans des „Alpen-Jörgl“ an, die 200 Mark für eine Eintrittskarte bezahlt hatten und dennoch draußen vor der Tür bleiben mußten. Haiders gleichfalls kurzgeschorene „Schutzstaffel“ ließ während und nach der machtvollen Gegendemonstration keinen Menschen mehr passieren — auch nicht die Vertreter diverser Medien, die sich vehement auf die in diesem Land („noch“) geltende Pressefreiheit beriefen. „Koaner kummt hier mehr oini — kloar?“
Da paßte sich auch die als Veranstalter fungierende Ortsgruppe der FDP schnell dem neuen Zeitgeist an: Mehr als ein Schulterzucken hatte der Freie Demokrat am Absperrgitter für die wartenden Journalisten nicht übrig. Im März, im Vorfeld der Landtagswahlen, war es dem FDP-Landesvorsitzenden Roland Kohn noch gelungen, die Parteifreunde aus Bad Cannstatt, die mit Haider mehr „Farbe und Dynamik“ in den Kampf um die Stimmen der Baden-WürttembergerInnen bringen wollten, vom „parteischädigenden Verhalten“ eines Auftritts des österreichischen Rechtsaußen zu überzeugen. Doch die Liberalen von Bad Cannstatt bestanden jetzt auf ihrem „Jörgl“. Knapp vor der Veranstaltung mit dem Titel „Liberale Perspektiven für Europa“ wandte sich Kohn erneut gegen die Einladung. Deutschland erlebe gegenwärtig eine Welle der Gewalt, der Ausländerfeindlichkeit und einen Rechtsruck des Parteiensystems. In dieser Situation müsse eine liberale Partei der demokratischen Mitte verpflichtet bleiben,
so Kohn.
Der Kursaal indes war mit über 600 geladenen Gästen voll besetzt — unter ihnen auch überzeugte Anhänger des vermeintlichen Mitglieds der liberalen Großfamilie Europas: Der Führer der Landtagsfraktion der „Republikaner“, Rolf Schlierer, und der Rechtsaußen dieser rechtsradikalen Partei, der Ausländerhasser Christian Käs, wollten den Mann live erleben, der in der Nachbarrepublik schon das vollzogen hat, was sich die Reps für die nächste Bundestagswahl erträumen: den triumphalen Einzug von Franz Schönhuber und seinen Spezeln in das Bundesparlament in Bonn — lieber noch in den Reichstag zu Berlin.
Der aufgekratzte Haider, der einst die „ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“ lobte und wiederholt eine „schärfere Gangart“ der österreichischen Bundesregierung gegen AusländerInnen vor allem aus Osteuropa forderte, erklärte auf einer Pressekonferenz vor seinem Auftritt im Kursaal triumphierend, daß ihm bereits rund 40 Einladungen freidemokratischer Kreis- und Landesverbände aus der Bundesrepublik vorlägen. Er könne zwar nicht alle Termine wahrnehmen — „aber Deutschland und Österreich müssen voneinander lernen“. Haider forderte „Deutschland“ auf, die EG- Verträge von Maastricht nicht zu ratifizieren, denn dann würde „Deutschland“ an Kompetenzen in Europa
verlieren. Mit solchen und ähnlichen Leerformeln rettete sich Haider während der Pressekonferenz über die Zeit. In der Podiumsdiskussion sprach er sich dann für ein „Menschenrecht auf Heimat“ in einer künftigen europäischen Verfassung aus. Die Menschen müßten entscheiden dürfen, so Haider, wieviel andere sie bei sich aufnehmen wollen. In Anspielung auf die fast zweijährige Diskussion um eine Änderung des Grundgesetzes kritisierte Haider, daß in Deutschland in Wirklichkeit keine Lösungskompetenz der Politik vorhanden sei. Es sei das kleinere Übel, so sagte der FPÖ-Chef, „rechtzeitig restriktiv zu sein als langfristig gutmütig — mit der Folge bewaffneter Auseinandersetzungen“.
Daß FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff, nach anfänglicher Zusage, nun doch nicht den Weg nach Stuttgart gefunden hatte, war für die Freidemokraten vor Ort „kein Beinbruch“. Schließlich, so ein Bad Canstatter Liberaler, sei doch bekannt, daß die Spitzenpolitiker dieses Landes „abgehoben von der Bevölkerung Politik machen“. „Aber der Jörgl packt die heißen Eisen an.“
Vor dem Kurhaus wurden dann gegen 22 Uhr keine „heißen Eisen“ mehr geschmiedet. Die lamentierenden braunen „Schmuddelkinder“ vor den Absperrgittern wurden von einem ihrer Anführer mit dem Hinweis auf die Rückgabe der berappten 200 Märker ruhiggestellt. Es schmerzte die Jungmänner, daß der „Jörgl“ sie bei seinem ersten Auftritt in der Bundesrepublik nicht im Auditorium sehen wollte. „Dabei waren wir schon oft in Österreich und haben dem Haider die Stange gehalten“, sagte ein etwa 16jähriger im Schwarzhemd: „Das ist doch keine Kameradschaft.“ Da sei es letzte Woche in Belgien „viel geiler“ gewesen. Mit „Kameraden“ aus ganz Europa habe man sich da getroffen — „auch mit berühmten Leuten“. Klaus-Peter Klingelschmitt, Stuttgart
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