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Klassischer Samba-Punk

■ Boi Voador: Bremer Publikum verpaßte die Erfüllung all seiner Wünsche

Eigentlich war für jeden etwas dabei. Freunde der Commedia del Arte wären voll auf ihre Kosten gekommen, als die brasilianische Theatergruppe Boi Voador ihr rasantes Stück um Liebe, Verrat, Entführung und Tod zwei Abende lang auf die Bretter des Kulturzentrums Schlachhof warf. Aber auch wer mehr auf politischem Anspruch mit scharfer Kritik an lateinamerikanischen Folterdiktaturen steht, hätte seine Freude gehabt: an der Bühnenbearbeitung der krassen Bildersprache des großen guatemaltekischen Poeten Miguel Angel Asturias. Und erst die zahlreichen Bremer Samba-Fans — was haben die 13 Schauspiel-TänzerInnen getrommelt und getanzt! Da wäre keine Hüfte steif geblieben. Oder die Adepten des klassischen Balletts: Wann konnten sie in Bremen schon einmal eine japanisch-brasilianische Tänzerin Schwanensee-Figuren springen sehen — und auch noch nackt! Und nicht zuletzt die Bremer Punk-Szene. Echter Pogo aus Sao Paulo wäre zu bewundern gewesen, haargesträubte schwarze Gestalten in schwarzen Springerstiefeln mit herunterhängender Lasche, die ihren Verstärkern ordentlich Saft gaben...

Ja, es wäre für jeden etwas dabei gewesen, nur gemerkt hat es fast niemand. Am ersten Boi-Voador-Abend waren mal gerade drei ZuschauerInnen pro SchauspielerIn gekommen. Was die anderen alles verpaßt haben: Da fließt das Blut in Strömen, Folterknechte spielen Baseball mit dem abgehackten Schädel, die Tochter des Generals landet im Puff, stirbt und wird — Popol Vuh hilft mit — ins Leben zurückgezaubert. Die Punk-Band zupft dazu lieblich den Charango. Aber sie gibt es auch der Pauke und bringt den Punk dazu in Sambaschwung.

Regisseur Ulysses Cruz kennt sich aus in der Wilden Welt des Großstadtdschungels von Sao Paulo. Hauptberuflich leitet er eine Karnevals-Schule, mit Boi Voador hat er die Verbindung zu den Subkulturen der Sieben-Millionen-Stadt geknüpft. Die Theatergruppe arbeitet seit sechs Jahren professionell, einige Nebenjobs sind allerdings noch zum Überleben nötig. Im letzten Jahr war Boi Voador zum ersten Mal in Europa — auf Einladung eines ibero-amerikanischen Festivales im spanischen Cadiz. Auch in diesem Jahr fahren sie von Bremen wieder nach Spanien. Im Zusammenhang mit dem 500jährigen Kolumbus-Jubiläum wurde ihr neues Stück mit spanischen Geldern gefördert. In Cadiz und Sevilla warten ausverkaufte große Theater auf Boi Voador. Auch in Hamburg sahen 300 ZuschauerInnen pro Abend die brasilianische Gruppe. Nur Bremens Punks und Sambas, Latinophile und Ballettanhänger haben ihre Chance verpaßt. Ase

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