: SOMNAMBOULEVARD — DIE PFANNE DER WILLKÜR Von Micky Remann
Jetzt reicht's! Wo kommen wir da hin, wenn das Geschwurbel illusionärer Parallelwelten nicht mehr von der echt harten wirklichen Realität, wie sie tatsächlich ist, unterschieden wird? Das wäre ja wie ein Faß ohne Boden, das noch nicht einmal ein Faß ist, also eine bodenlose Fassungslosigkeit. Wir fordern: Weg mit einem Realitätsbegriff, der außer Beliebigkeit rein gar nichts mehr auf der Pfanne hat! Nieder mit jeglichem Taumel in den horror vacui! Wir lassen uns diese unsere Wirklichkeit doch nicht von flausigen Hazardeuren in die Pfanne hauen! Wo kämen wir da hin? Realität als beliebige Willkür? Nein danke!“
Prasselnder Applaus.
Wenn Du denkst, diese Worte entstammten der Rede eines pfannatischen Wachzuständlers, irrst Du Dich. Nein, es ist ein fundamentalistischer Traumzuständler, der so spricht. Er wirbt hier auf einer Versammlung dafür, nur noch den Traum für real zu halten, ihm bis in den Tod treu zu sein und nie mehr aufzuwachen.
„Wer aufwacht, übt Verrat!“ steht auf einem Transparent, und auf einem anderen: „Wachheit ist Flucht vor dem Traum!“ bzw. „Aufwacher raus!“ Das braucht Dich nicht zu wundern. Der Geist wird nicht per se erleuchtet, nur weil er nachts statt des physischen Körpers einen virtuellen Traumkörper steuert. Und warum soll es nicht auch auf dem Somnamboulevard von Bornierten und Empörten aller Couleur wimmeln, die — natürlich im Traum — ihren jeweiligen Bewußtseinstransit, so schmalspurig er auch immer sein mag, für das A und O der Universalontologie ausgeben?
Das machen sie, indem sie mit pausenloser Erregung ideologisches Lametta produzieren, um damit den Christbaum ihres zugrundeliegenden Weltbildes zu kaschieren. Und ein Weltbild, egal welches, zeichnet sich eben dadurch aus, daß es über alle logischen Untiefen hinweg Gründe erfindet, mit denen es seine exklusive Richtigkeit bestätigt und alle anderen für Arschlöcher hält.
Je klarer diese Grenze, desto wahrer die eigene Wirklichkeit. Das Arrangement wird dann verteidigt wie Stalingrad, zwar meist mit dem gleichen Ergebnis, aber der Einsatz ehrt doch die schon im voraus einkalkulierte Niederlage. Denn ob im Wachen oder Träumen: Weltbildbruch ist erstens unvermeidlich, gehört zweitens zum Schicksal, und deswegen müssen wir uns, drittens, darüber vergeblich entrüsten. Beziehungsweise jene verfluchen, die sich nicht darüber entrüsten. Oder etwa nicht? Just geschieht es nämlich, daß eine Gegendemonstration naht. Und eine Vertreterin dieser Gruppe blökt von der anderen Seite ins Megaphon: „Was habt Ihr eigentlich gegen eine willkürliche Realität, Leute? Ist doch großartig: eine Kür des Willens oder plädiert Ihr etwa für die Willpflicht, wo man alles, was man will, wollen muß, statt es wollen zu dürfen? Und die Beliebigkeit? Die kommt immerhin von Liebe, nicht wahr? Oder wollt Ihr behaupten, real sei nur, was nicht Liebe ist?“
Ja, hier geht es grad ziemlich rund.
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