piwik no script img

Geschlossene Gesellschaft

Quentin Tarantinos grandioses Regiedebüt „Reservoir Dogs“ durchbricht das Klischee vom schnellen Sterben  ■ Von Thomas Winkler

In einem Café. Die Männer sitzen um einen Tisch, die Kamera umkreist sie wie ein Tier, das seine Beute umschleicht. Immer wieder wird der Blick durch Rücken versperrt. Die Sicht der Kamera ist subjektiv, doch das Subjekt ist der Zuschauer selbst. Die kreisende Kamera zieht den Zuschauer fast konspirativ in das Gespräch der Männer. Es scheint so, als würden sie sich schon lange kennen, als wären sie alte Freunde. Sie sprechen über Frauen und über die Philosophie des Trinkgeldgebens, erzählen Witze. Nur zwei Dinge sind auffällig: Alle tragen die gleichen schlichten, schwarzen Anzüge und dünnen, schwarzen Krawatten über weißen Hemden, und ihre Namen haben etwas gemeinsam: Sie heißen Mr.White, Mr.Orange, Mr.Pink, Mr.Blonde, Mr.Blue und Mr.Brown.

Tatsächlich treffen die sechs Männer erst zum zweitenmal aufeinander. Beim ersten Treff wurde der Juweliersraub besprochen, den sie anschließend an dieses Frühstück verüben werden. Die Decknamen haben sie von ihrem Auftraggeber erhalten, um das Risiko möglichst gering zu halten, falls einer von ihnen erwischt werden sollte. Der perfekt geplante Raub geht wider Erwarten schief, offensichtlich war die Polizei vorher informiert. Zwei der angeheuerten Räuber werden erschossen, der Rest rettet sich — teilweise verletzt — in ein Lagerhaus, das als Treffpunkt verabredet war.

Den Verbliebenen wird klar, daß ein Verräter unter ihnen sein muß. Während sie auf ihren Auftraggeber warten, entspinnt sich ein psychologisches Kammerspiel, das sich aber kein bißchen an die dezente englische Tradition des Genres hält, sondern immer wieder durch heftige Gewaltausbrüche schockiert. Die Coolness der Berufsverbrecher schlägt um in Verzweiflung, die wiederum in Brutalität.

Quentin Tarantinos Regiedebüt „Reservoir Dogs — Wilde Hunde“ bringt mehrere klassische Traditionen des Kriminalfilms zusammen, die bisher unvereinbar schienen. Da ist einmal das europäische Whodunit, die Suche nach dem Täter in einem abgeschlossenen Raum mit einer begrenzten, überschaubaren Anzahl von Kandidaten. Genauso aber genügt „Reservoir Dogs“ den Ansprüchen der amerikanischen Spielart, die das Verbrechen oft erst ans Ende stellt und nicht klären muß, wer es begangen hat, sondern wie es dazu gekommen ist. In der Stilisierung der Protagonisten mit den exakt gleichen Anzügen und der Ritualisierung der Umgangsformen kann man den Einfluß des französischen, von Jean- Pierre Melville geprägten Gangsterfilms erkennen.

Aber Tarantino scheint auch seinen Akira Kurosawa gesehen zu haben. Wie in „Rashomon“ erscheint der Überfall selbst nicht im Bild, sondern setzt sich nur zusammen aus den Erzählungen der Beteiligten und einigen wenigen Rückblenden. Jeder hat seine eigene Version, der Wahrheit kommt man damit nicht näher, weil der Verräter immer noch lügt. Keiner wird überleben, obwohl alle hätten flüchten können. Der Verrat, die verletzte Berufsehre und eine absurde Loyalität verhindern die Flucht und führen in den Tod.

Geplant hatte Tarantino seinen Film als 16-mm-Produktion, finanziert mit eigenen Mitteln und Freunden. Doch das Engagement von Hauptdarsteller Harvey Keitel, der zum Co-Produzenten avancierte, sorgte dafür, daß Tarantino soviel Geld bekam, wie sein Drehbuch verdient hat. Tarantino konnte eine ganze Schar herausragender Darsteller des etwas anderen amerikanischen Kinos verpflichten. Neben Keitel und dem Engländer Roth agieren Chris Penn, Steve Buscemi, Lawrence Tierney und Michael Madsen. Trotzdem hat er sich vom Geld nicht korrumpieren lassen. „Reservoir Dogs“ ist trotz der üppigen Produktion ein kleiner, dreckiger Film über Sterben, Verbrechen und obskure Männerloyalität. Tim Roth als Mr.Orange liegt schreiend und jammernd mit Bauchschuß auf einer Rampe des Lagerhauses. Sein Leiden und Stöhnen durchbricht das Klischee vom schnellen Sterben, das klassischerweise in Gangsterfilmen gepflegt wird, dort, wo Kugeln nur rote Flecken machen.

Trotzdem ist „Reservoir Dogs“ ein sehr poetischer Film; darin erinnert er an manche Streifen von Sam Peckinpah, in denen die Darstellung der Gewalt zu einer Ästhetik der Gewalt wurde. Tarantino fügt dem noch Poesie hinzu, auch weil er seinen Film an einem austauschbaren Ort in einer Unzeit ansiedelt: Anzüge aus den Sechzigern, Autos aus den Fünfzigern, Diskotheken aus den Achtzigern, Hemden aus den Siebzigern. „Reservoir Dogs“ ist eine Parabel auf das Verbrechen, aber auch zugleich Reminiszenz und Abgesang auf den Gangsterfilm.

„Reservoir Dogs — Wilde Hunde“. Buch und Regie: Quentin Tarantino; Kamera: Andrzej Sekula. Mit: Harvey Keitel, Tim Roth, Chris Penn, Steve Buscemi, Lawrence Tierney, Michael Madsen, Eddie Bunker, Randy Brooks. USA 1991, 95 Minuten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen