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Der Krieg ist nicht vorbei

Gespräch mit dem Regisseur Michael Apted über „Halbblut“, seinen Dokumentarfilm „Incident at Oglala“ und US-Indianerfilme nach Kevin Costners „Der mit dem Wolf tanzt“  ■ Von Christiane Peitz

taz: Mr. Apted, seit wann interessieren Sie sich für das Schicksal der Indianer in Amerika?

Michael Apted: Es begann mit dem Dokumentarfilm. Robert Redfords Company fragte mich, ob ich Lust hätte, einen Film über Leonard Peltier zu machen. Ich wußte nichts über den Fall. Sie gaben mir Material, ich begann zu lesen, fuhr nach South Dakota, traf Leute, die Geschichte fesselte mich mehr und mehr. Nicht nur Peltiers Story, sondern auch die historischen Hintergründe, die ganze Geschichte zwischen den Indianern und der amerikanischen Regierung seit Kolumbus. Während der Vorbereitungen zu „Incident at Oglala“ kam Tri-Star mit dem Drehbuch von „Halbblut“ zu mir: ein verrückter Zufall. Ich habe ja schon immer sowohl Spiel- als auch Dokumentarfilme gemacht, und so konnte ich dasselbe Sujet von zwei Seiten beleuchten. Es schien mir eine interessante Herausforderung, mit Hilfe von ähnlichem Quellenmaterial verschiedene Geschichten zu erzählen. Ich konnte den Spielfilm gewissermaßen mit dem Dokumentarfilm anreichern, Fakten, Ideen und Leute von der einen Arbeit in die andere hinübernehmen.

Wie zum Beispiel John Trudell, einen der führenden Köpfe des American Indian Movement, der im Dokumentarfilm ausführlich zu Wort kommt und in „Halbblut“ eine Peltier-ähnliche Figur spielt?

Ja, genau. Er ist großartig. Er verlieh dem Film eine zusätzliche Note durch seine Erfahrung, seinen geistigen Horizont, seine Bilderwelt und seinen emotionalen Bezug zur Geschichte. (Die Familie des Sängers und Dichters Trudell wurde in den siebziger Jahren von weißen Killerkommandos ermordet; der Fall kam nie vor Gericht/Anm. chp).

Robert Redford hat den Dokumentarfilm produziert, Robert de Niro den Spielfilm. Wie war die Zusammenarbeit mit den beiden?

Mit Redford habe ich mich einmal getroffen, das war's. De Niro drehte gerade selbst, deshalb habe ich ihn auch nicht oft gesehen. Er war aber im Pine Ridge Reservat, zusammen mit dem Drehbuchautor John Fusco, und er hat mir immer geholfen, wenn es Ärger mit dem Studio gab. Von Redford habe ich ein ganzes Jahr lang nichts gehört. Er hatte zwar den Final Cut, und es gab ein paar Auseinandersetzungen deshalb. Aber zwischen dem ersten Händeschütteln und dem Moment, wo ich ihm den fertigen Film überreichte, war Funkstille.

Wie sind Sie bei den Recherchen speziell für den Dokumentarfilm vorgegangen? Es war ja bestimmt nicht einfach, die Leute dazu zu kriegen, vor der Kamera auszusagen, daß damals im Peltier-Prozeß Beweise gefälscht und Zeugen gekauft wurden.

Es war schwierig, ihr Vertrauen zu gewinnen. Es gibt viele Filmemacher, die dort hinkommen, schnelle Informationen wollen und die Indianer für ihre eigenen Zwecke ausbeuten. Es gab für sie keinen Grund anzunehmen, ich sei anders. Die einzige Möglichkeit, sie zu überzeugen, war die, den Film zu drehen. Ich habe deshalb so früh wie möglich begonnen, mit der Kamera aufzutauchen. So konnten sie sehen, ich mache meine Arbeit, fingen an, mich ernstzunehmen, ließen sich aus der Reserve locken und machten ihrem Unmut Luft. Aber schwierig und gefährlich blieb es auch später; schließlich rührten wir an tiefsitzende Wunden und Konflikte, die bis heute nicht gelöst sind.

Wie war die Zusammenarbeit mit den Indianern im Reservat?

Nun, sie waren froh über Kevin Costners „Der mit dem Wolf tanzt“. Wenigstens einmal hatte Hollywood es gut mit ihnen gemeint, so waren sie unserem Projekt nicht abgeneigt. Trotzdem gab es ein grundsätzliches Mißtrauen. Es war für sie wichtig zu wissen, auf welcher Seite ich stehe. Bei der Arbeit am Spielfilm gab es vor allem Diskussionen über die religiösen und spirituellen Szenen. Bei einigen wollten sie nicht, daß ich sie drehe.

Aber es gibt ja religiöse Rituale in „Halbblut“, die Szene im Schwitzzelt zum Beispiel oder die Powwow- Tänze. Wie erreicht man das als Filmemacher? Es heißt dann immer so schön, es gab Schwierigkeiten, aber wie haben Sie sie gelöst? Was bedeutet das konkret? Schließlich werden Tabus gebrochen, die den Indianern heilig sind.

Es ist ein Deal. Sie sagen: Das darfst du nicht drehen. Ich sage: Macht einen Vorschlag zur Alternative. Ich versetze sie in meine Position: Wollt Ihr, daß ich einen Film mache, der die spirituelle Seite eurer Kultur ausspart? Dann sagen sie: Nein, natürlich nicht. Und ich sage: Also, was soll ich jetzt tun? Wenn ich nicht im Schwitzzelt filmen darf — das lehnten sie am meisten ab —, was soll ich sonst drehen? Ich möchte euch nicht falsch darstellen — das ist ein Satz, der zieht immer. Und sie schlagen mir vor: Dreh doch eine Reinigungszeremonie.

Auch bei den Geistertänzen, die am Anfang und immer wieder im Film zu sehen sind, sagten sie: Das darfst du nicht filmen. Ich fragte: Warum nicht? Sie sagten: Es ist ein heiliger Tanz. Aber ich hatte recherchiert und wußte Bescheid. Ich sagte also: Diese Tänze sind eine beschämende, idiotische Sache, ein Überbleibsel aus den Rassenkriegen. Damals glaubten die Sioux, sie könnten den weißen Mann besiegen, indem sie sich selbst zu Tode tanzen. Am Ende war der Stamm der Sioux fast vollständig ausgerottet. Aber ihr seid doch heute kein Kriegsstamm mehr und könnt euch so nicht verteidigen. Erzählt mir nichts von heiligen Tänzen.

Indianer-Filme sind ja in Mode gekommen. Auf dem Münchner Filmfest lief eine Programmreihe unter dem Titel „Surviving Columbus“, es gibt „Clearcut“ von Richard Bugajski, Errol Morris' „The Dark Wind“ und Ihre beiden Produktionen. Ist das eine Reaktion auf Kevin Costner?

Ich denke schon. Als Costner an seinem Film zu arbeiten begann, hielten alle das für ein idiotisches Projekt und das sichere Ende seiner Karriere. Mittlerweile hat er 500 Millionen Dollar damit gemacht, und Hollywood denkt: Aha! Das Buch zu „Halbblut“ war fünf Jahre alt, aber erst nach Costner konnte es gedreht werden. Der Film hat ein Interesse geweckt.

Sind es Interessen oder Moden?

Moden. Das Interesse wird wieder nachlassen. Hollywood schafft sich seine Moden meistens per Zufall; sie lassen sich kaum planen. Die Filmindustrie folgt sklavisch der von ihr selbst kreierten Richtlinie, bis die Mode stirbt. Trotzdem hat Costners Film den Indianern eine gewisse Aufmerksamkeit verschafft, dem Leben der heutigen Indianer Prominenz und Profil verliehen. Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde mir, daß es durchaus ein Schuldbewußtsein der Amerikaner gegenüber den Native Americans gibt. Costners romantischer Film, der vor 100 Jahren spielt, bot eine sehr bequeme Möglichkeit, dieses Schuldbewußtsein loszuwerden. Man kam aus dem Kino und sagte sich: Gott sei Dank, diese häßliche Periode der amerikanischen Geschichte ist vorbei! Meine beiden Filme erzählen, daß sie nicht vorbei ist.

„Halbblut“ spielt in den siebziger Jahren, damals suchte die Regierung auf dem Pine Ridge Reservat heimlich nach Uranvorkommen, Flüsse wurden durch Uran vergiftet, Kinder starben an vergiftetem Trinkwasser. Heute geht es weniger um Uran als um Lagerplätze für Atommüll. Und unter den Indianern ist die Spielsucht ein großes Problem. Es gibt vielleicht weniger Schießereien, aber nach wie vor herrscht eine extreme Spannung zwischen der Regierung, die das Land will, und den Stämmen, die nichts anderes mehr haben als Reservate wie das in den Badlands, wohin sie ohnehin schon vertrieben wurden, weil es, wie der Name schon sagt, unfruchtbares Land ist. Aber wenn man es für den Atommüll gebrauchen kann, sollen sie von da auch wieder vertrieben werden. Es geht immer um Land, und den Indianern geht es darum, etwas von ihrer Kultur bewahren zu können, ihre Musik, ihre Religion.

All das hört die amerikanische Öffentlichkeit nicht gerade gern, und deshalb hat „Halbblut“ auch nur ein Fünftel des Erfolgs von „Der mit dem Wolf tanzt“.

Das heißt, Ihr Film profitiert zwar von Costners Erfolg, stellt sich aber zugleich gegen den Mythos, der diesen Erfolg mit ausmacht?

Ein bißchen schon. Der Mythos ist, daß der Krieg zu Ende ist. Aber in Wirklichkeit geht er weiter. Meine Filme erzählen von den Konflikten zwischen dem offiziellen Amerika und den Indianern, und sie versuchen auch die Konflikte der Indianer untereinander zu thematisieren. Da gab es schon immer einen Zusammenhang: In diesem Krieg kämpfte nie einfach der weiße Mann gegen den roten Mann, sondern der weiße Mann schuf Zwietracht zwischen den Stämmen, provozierte Bürgerunruhen. Übrigens dieselbe Taktik wie in Vietnam und Korea. In den sechziger und siebziger Jahren versuchte die amerikanische Regierung erneut, die Indianer zu spalten in Vollblut und Halbblut, weil sie davon gehört hatten, daß das eine Rolle spielt. Diesen Konflikt haben sie genährt und zu ihrem eigenen Vorteil genutzt. Auch davon erzählt „Halbblut“: Der Held, Ray Leroi, ein FBI- Beamter, hat indianisches Blut in den Adern.

Und er wird von Val Kilmer gespielt, der selbst indianische Vorfahren hat.

Das wußte ich übrigens nicht. Es war purer Zufall. Bei der Besetzung legte ich Wert darauf, daß der Schauspieler nichts Indianisches an sich haben darf. Er sollte aussehen wie ein Durchschnittsamerikaner. Schließlich verleugnet Leroi am Anfang ja seine Herkunft. Daß Kilmer tatsächlich Cherokee-Indianer in seiner Ahnenreihe hat, erfuhr ich erst, als wir schon drehten. Ich dachte erst, er macht einen Witz.

Ich habe gelesen, daß Leonard Peltier in Osteuropa sehr bekannt ist. In der früheren Sowjetunion, noch unter Breschnjew, gab es Unterschriftenlisten für seine Freilassung.

Das war der Kalte Krieg. Leonard Peltier war eine politische Waffe. Aber auch jetzt interessieren sich die Europäer mehr für dieses Sujet als die Amerikaner. Ich komme zum Münchner Filmfest, schlage den Katalog auf und sehe im Programm zahlreiche von Native Americans selbst gedrehte Dokumentarfilme. Kein großes amerikanisches Film- Festival würde so etwas tun, nicht einmal jetzt im Kolumbus-Jahr.

Man beschäftigt sich lieber mit den Fehlern der andern als mit den eigenen. Der Dokumentarfilm weist ja auch eine aktuelle Parallele auf. Der Film startete in den USA in derselben Woche, als es in Los Angeles die Rassenunruhen nach dem Freispruch für die weißen Polizisten im Rodney-King-Prozeß gab. In „Incident at Oglala“ berichten die Zeugen, daß sie gekauft wurden, FBI- Leute sagen aus, sogar der wirkliche Mörder an den beiden FBI-Beamten legt anonym ein Geständnis ab. Die einzigen, die jeglicher Evidenz zum Trotz auf Peltiers Schuld beharren, sind die weißen Geschworenen. Die Geschichte des Dokumentarfilms im Kino entspricht exakt der Realität von Los Angeles.

„Incident at Oglala“ ist so gesehen der wichtigere Film, aber „Halbblut“ wird mit Sicherheit mehr Erfolg haben. Haben Sie beim Spielfilm Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack gemacht? Der Schluß ist ja sehr optimistisch: Die Indianer solidarisieren sich und wehren sich erfolgreich.

Das ist nicht das allerletzte Bild. Natürlich mußte ich Kompromisse eingehen, aber das Schlußbild ist nicht das von den Indianern, die plötzlich auf den Felsen stehen, den Helden und die Wahrheit verteidigen. Der eigentliche Schluß ist so, wie ich ihn machen wollte: Ray sitzt im Auto, und es ist unklar, wo die Reise hingeht. Der Schluß ist seine persönliche Krise. „Halbblut“ ist die Geschichte der Entwicklung einer Person, nicht die Geschichte der Native Americans. Gut, ich habe einen kommerziellen Hollywoodfilm gedreht mit 16 Millionen Dollar, und die Leute, die ihn finanziert haben, wollen etwas davon haben. So ist das beim Mainstream. Ich sehe das übrigens nicht so negativ. Es ist eine Herausforderung, ein Spiel um die Frage, wie weit man gehen kann.

Bei „Incident at Oglala“ konnte ich all das natürlich ignorieren. Den habe ich nicht gedreht, um Geld zu verdienen, sondern um vielleicht das zu erreichen, was Errol Morris mit „The Thin Blue Line“ gelungen ist: daß ein Unschuldiger freigesprochen wird. Zumindest muß der Prozeß gegen ihn wiederaufgenommen werden.

Michael Apted: „Halbblut“ (Thunderheart). Buch: John Fusco; Produktion: Robert de Niro, Fusco, Jane Rosenthal. Mit: Val Kilmer, Sam Shepard, Graham Greene, Fred Ward, Chief Ted Thin Elk. USA 1992, 118 Min.

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