: Neue Töne, aber keine wirklich neuen Ideen
■ Die Haushaltsdebatte im Bundestag und die Petersberger Beschlüsse der SPD/ Klose bietet begrenzte Zusammenarbeit mit der Regierung an/ Einwanderungspolitik angemahnt
Bonn (taz) — Die Unionsfraktion muß ziemlich lange darüber nachgedacht haben, wie man den SPD-Fraktionsvorsitzenden, der in der Generaldebatte über den Kanzlerhaushalt traditionell das erste Wort hat, möglichst geringschätzig behandelt. Denn wer den CSU-Landesgruppenchef Wolfgang Bötsch (mit langem Ö) als ersten Redner für das Regierungslager an das Pult schickt, kann nicht ganz frei von niederen Motiven sein. Wie auch immer: dem unverdrossenen Bayern gelang es auf der Stelle, die Aussichten auf eine echte Debatte zu verbauen.
Solche Hoffnungen hatte die Rede von Hans- Ulrich Klose durchaus geweckt. Der Gong zu Sitzungsbeginn verpfuschte Klose zwar seine kleine Auftaktdemonstration. Denn das Parlament mußte sich erheben und verbaute so die Sicht auf den Händedruck des Führungsduos Klose/Engholm, das neuerdings zu vielem entschlossen ist, mindestens aber dazu, entschlossen zu wirken. Seit Tagen wird in Bonn laut geflüstert: über die Wünsche der SPD nach Annäherung und Anpassung an die Union, nach mehr Zusammenarbeit oder gar eine große Koalition.
Fraktionschef Klose zeigte seiner Fraktion und der Öffentlichkeit, daß er sich bestimmte Alternativen nicht aufzwingen läßt. Opposition oder Zusammenarbeit, Änderung des Asylrechtsparagraphen oder gar nichts Neues in der Ausländerpolitik, auf solche Entweder/Oder- Konstellationen steigt Klose nicht ein. Für Klose bleibt es beim Angebot zur Zusammenarbeit, und trotzdem attackiert er die Regierung Kohl zur Freude seiner Fraktion viel härter als vor einem Jahr.
Wenn der höfliche Klose, zu dessen Repertoire lautes Poltern nicht gehört, den Kanzler mit der Bemerkung zitiert, die Westdeutschen seien zum Verzicht nicht bereit, dann zeigt Kohl die ganz milde, unbeteiligte Miene und verrät damit, daß dieser Vorwurf getroffen hat.
Klose stellt heftig klar: „Wenn Sie die Probleme mit uns lösen wollen, dann müssen Sie sich merken, wir tanzen nicht nach Ihrer Pfeife.“ Und obwohl der Fraktionsvorsitzende beim ersten Anlauf Pfeife und Tanz verwechselt, verfehlt er seine Wirkung nicht, und die SPD-Fraktion ist einfach begeistert. Klose gehört an diesem Tag zu den wenigen Rednern, die der Feststellung, man müsse der Bevölkerung die Wahrheit sagen, auch die Wahrheit folgen läßt.
Zur Asylfrage: „Das Problem lösen heißt nicht, daß keine Ausländer mehr kommen. Das geht zu Zeiten der Völkerwanderung nicht.“ Die Fraktion, die sich am Montag über die neue Asyllinie zerstritten hatte, hört nun von ihrem ersten Mann, daß er sich gegenüber der Union auf „die alten Geschäftsgrundlagen“ beruft. Und die sei: „Das Individualrecht auf Asyl soll erhalten werden.“ Wohl will die SPD die Zuwanderung begrenzen, an „kosmetischen Änderungen werden wir uns nicht beteiligen“. In dieser Debatte kommt Klose auf das zurück, was die Petersberger Beschlüsse verwischen. Er verlangt von der Union, daß sie sich einer Einwanderungspolitik öffnet.
Lambsdorff verweigert sich der Schönfärberei
Unter dem Strich bleibt es aber auch in Kloses Rede dabei: zwar ist die Tonlage neu, doch wirkliche Ansätze, wirkliche Ideen zu neuen Schritten der deutschen Integration fehlen. Aber sie fehlen im Regierungslager erst recht. Und in diesem Umfeld von behaupteter, aber nicht vorhandener Handlungsfähigkeit, von Wortblasen und Schönrednerei fällt ausgerechnet Otto Graf Lambsdorff auf, weil er sich der Schönfärberei verweigert. Nie in seiner zwanzigjährigen Erfahrung mit der Haushaltsdebatte habe es in den Wochen zuvor ein derartig dissonantes Konzert gegeben. Die Hauptdissonanzen macht der Chef der FDP im Regierungslager aus, seine eigene Partei nicht ausgenommen, obwohl ihr Beitrag zur Konfusion um Anleihen, Steuern und Sparen immerhin der kleinste gewesen sei.
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