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Aus den Startlöchern sind wir heraus

■ Die ersten 900 Rettungsabos für die taz sind da: nicht wenig, aber auch erst ein Anfang — denn ohne 5.000 Abos mehr ist am Jahresende Schluß/ Andrang herrscht am taz-Kettentelefon, und die Journaille wünscht uns alles Gute

Logout ist normalerweise um fünf. Dann sind alle Adressen eingegeben, Reiseabos gebucht, Trägerdienstbeschwerden weitergeleitet... und Abokündigungen mit steigendem Frust in die Tasten gehauen, der Computerbildschirm wird abgeschaltet. Arbeitsalltag von Bärbel Lohnsdorf und ihren KollegInnen im 5. Stock des alten taz-Gebäudes. Doch diese Woche ist verkehrte Welt. Um halb sieben sitzen noch sechs Abotazzen an ihren Schreibtischen. „Wer gibt denn hier die Neuabos ein?“ Bärbel Lohnsdorf blickt kurz auf, und ihr „Alle natürlich...“ klingt nach mehr als nur Arbeitseifer, auch die geleerte Flasche Sekt auf dem Tisch zwischen den PCs — Spende eines ehemaligen Kollegen — deutet vorsichtig eine steigende Stimmung nach einem langen Tief an. Das gab's schließlich noch nie: „Über 200 Neuabos jeden Tag“ hat Susanne Hüsing gezählt, „normalerweise sind es zwanzig, höchstens mal dreißig“. Und denen standen in der Vergangenheit meist genausoviele Kündigungen gegenüber. Im vergangenen Jahr sogar wesentlich mehr. Da sackte die taz-Auflage von 60.000 auf schlappe 55.000. Auf Dauer zu wenig zum Überleben.

Doch seit die taz am letzten Samstag ihren Leser und Leserinnen die Sanduhr vor die Nase gesetzt hat („...Sonst ist am Jahresende Schluß“) kommen sie alle aus der Deckung, die Fans wie die professionellen Konsumenten, die enttäuschten Liebhaber genauso wie die großen überregionalen Konkurrenten der taz. „Es ist ernst“, titelt das Feuilleton der FAZ, dem die Parole „Von FAZ bis taz“ schon immer gefiel, und schließt seinen Artikel mit einer ungenierten Werbung für die taz-Verlosung einer Reise „zu Gast bei taz-KorrespondentInnen auf drei Kontinenten“.

Tags darauf macht Herbert Riehl- Heyse (bei dieser Gelegenheit sei gleich das fehlende Ypsilon seines Namens in unserer gestrigen taz berichtigt) den Lesern und Leserinnen der Süddeutschen Zeitung klar, was die taz „in der deutschen politischen Diskussion beinahe unentbehrlich macht“. Und schreibt denjenigen, die in den letzten Jahren politisch resigniert und sich zurückgezogen haben, ins Stammbuch: „Nicht zuletzt bei einem großen Teil der linken und alternativen Szene scheint momentan der Kopf so tief im Sand zu stecken, daß man ihn nicht auch noch zum Lesen benutzen kann.“ Vielleicht stimmt ja, daß viele Leute „die Lust verlieren, sich mit der Lektüre immer noch einer Hiobsbotschaft den Tag zu verderben“.

Vielleicht schlägt das Pendel nach Rostock und Petersberg aber auch wieder ein stückweit in die andere Richtung. Vielleicht braucht das „andere Deutschland“, das wir ab heute zum Thema einer Serie (siehe Seite 3) machen, ja doch die taz. Die taz-Abokurve der letzten Woche, in der sich auch die Zahl der Kündigungen halbiert hat, spricht dafür.

Im 4.taz-Stock, durch eine spanische Wand von den ruhebedürftigen EDV-Spezialisten getrennt, sitzt Johnny Krämer (24) am „taz-Kettentelefon“. Nein, mehrere Leitungen braucht er nicht, aber so 30 bis 50 Anrufe bekommt er schon jeden Tag, zwischen 12 und 19 Uhr. (Seine Arbeitszeiten sollen übrigens weniger den Spätaufstehern als denen dienen, die das Kettentelefon abends erreichen möchten.) Dazu findet er noch jeden Morgen ein gutes Dutzend Stimmen auf dem Anrufbeantworter. In Frankfurt hat das Beilegen des Kettenbriefes nicht ganz geklappt, andere Anrufer haben ihre acht Exemplare schon verschickt, möchten einen zweiten Bogen. Wieder andere wollen telefonisch ein Abo, also stellt Johnny zur Aboabteilung durch. „Darunter sind viele Gelegenheitskäufer, die eigentlich zu wenig Zeit zum regelmäßigen Lesen haben, aber die taz auch nicht verlieren möchten.“ Und ehemalige AbonnentInnen, die wieder beliefert werden wollen. Und Institutionen, die die Zahl ihrer täglichen Exemplare erhöhen. Die hessische Staatskanzlei von eins auf drei, den Kollegen von der Wochenpost, gleich gegenüber der taz, jenseits des alten Checkpoint Charlie, läßt Chefredakteur Mathias Greffrath künftig gleich acht tazzen auf die Schreibtische legen. „Genausoviel Exemplare, wie vom Neuen Deutschland.“ Bei der Gelegenheit dementiert er gleich Freya Klier, die in der taz geschrieben hatte, unter den 27 Zeitungsabos „einer Ostberliner Wochenzeitung“ fände sich nach Insiderinformationen 24mal das Neue Deutschland.

Wenn das Telefon gerade nicht klingelt, packt Kettentelefonist Johnny Krämer die größeren Pakete. Von der alternativen Stiftung Buntstift e.V. bis zum Naturheilkundearzt, von der Vollkornbäckerei in Essen bis zum Bildungswerk für Friedensarbeit in Aachen. Die Büchergilde Gutenberg, solidarisch in der Lesekrise, will ihre Kunden zur taz- Kette animieren, die Jugendvertreter der BHW Bausparkasse in Hameln ihre Azubis. Und ein mittelständischer Unternehmer überlegt, ob er für seine Mitarbeiterschaft eine größere Zahl tazzen abonnieren soll. Hier 60 Kettenbriefe, da 100, dort 250. Soviele Exemplare hat Peter Ginno von der SPD-Landtagsfraktion in Saarbrücken bestellt, 2.500 gar der Bundesvorstand der Grünen, der die Kettenbriefe seinen Aussendungen beilegen will. Und Günter Wallraff hat angerufen: Er braucht ein 200er-Päckchen, zum Verteilen auf einer Lesung.

Nur eins verstehen unsere Abo- tazzen nicht: Warum ausgerechnet die Bibliothek des Bundesinnenministeriums, Außenstelle Berlin in dieser Woche „im Auftrag des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“ ihr taz-Abo gekündigt hat. Aber keine Sorge, die taz-Abokampagne bietet ja auch die Möglichkeit, finanzschwachen öffentlichen Bibliotheken ein Geschenkabo zukommen zu lassen. Das Abo 113974J ist zu haben. Michael Rediske

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