: Wacht die Öffentlichkeit auf?
■ Zwei Wochen nach Rostock kommt Bewegung in die kritische Öffentlichkeit/ Großdemo in Bonn geplant
Was tun nach Rostock? Überall ist Bewegung in die kritische Öffentlichkeit gekommen. Zerstrittene Linke rufen zu gemeinsamen Aktionen auf, das PEN-Zentrum brütet über einem Papier zur Ausländerfeindlichkeit, von Kiel bis Zittau versuchen kleine Gruppen, Flüchtlingsheime gegen Brandsätze zu schützen, GewerkschafterInnen übernehmen Patenschaften für Flüchtlingsfamilien, Jugendliche helfen, die Zerstörungen auf jüdischen Friedhöfen zu beseitigen, Bürgermeister stellen sich vor AsylbewerberInnen — so in Quedlinburg — und lassen sich dafür von RandalierInnen beschimpfen. In Stendal verhinderte wenige Tage nach Rostock eine kleine Gruppe, daß Jugendliche das dortige Flüchtlingsheim angriffen.
Auch Brigitte Erler von „Buntes Deutschland — SOS Rassismus“ hält es für dringend nötig, jetzt vor allem mit jenen ins Gespräch zu kommen, die in Lichtenhagen und anderswo klatschend am Rand stehen. In den Städten müßten, wie teils schon geschehen, an Runden Tischen mit Deutschen, AusländerInnen, Initiativen und städtischen HonoratiorInnen „friedliche Konfliktlösungen“ trainiert werden, bevor sich Frust in Gewalttätigkeiten entlade. Zum Schutz der AusländerInnen fordert SOS Rassismus ein bundesweit erreichbares Notruftelefon. Politisch brauche die kritische Öffentlichkeit eine Vernetzung der Ausländer- und Flüchtlingsarbeit, ähnlich des Netzwerks der Friedensbewegung. „Wir müssen“, meint Erler, „gegen die Bonner Politik die Meinungsführerschaft anstreben.“
Auf die Straße gehen hingegen wollen die Grünen. Sie versprechen sich von einer bundesweiten Demonstration für den Artikel 16 und gegen Rassismus, zu der sie am 3. Oktober nach Frankfurt am Main aufrufen wollen, „Druck auf die SPD“ vor deren Sonderparteitag im November, so Vorstandssprecher Ludger Volmer. Das Thema Asyl sei „durch den Opportunismus der SPD extrem zugespitzt worden“. Gerade am Tag der Deutschen Einheit müsse nun ein Signal für eine internationalistische und weltoffene Orientierung der Politik gesetzt werden. Daß nach Rostock und dem Kurswechsel der SPD nun große Gesten wie Demonstrationen oder Aufrufe eines breiten Bündnisses von links bis liberal angesagt seien, meint man im DGB-Vorstand trotz Kritik an dem SPD-Schwenk indes nicht. Die Landes-Flüchtlingsräte und „pro asyl“ nahmen sich auf ihrem Bundestreffen am Donnerstag noch einmal das „rein machtstrategische Vorgehen der SPD-Spitze“ vor und forderten die GenossInnen auf, ihre Petersberger Beschlüsse zurückzunehmen. Die Flüchtlingsbewegung werde „einer SPD, die das Asylrecht den Rechten preisgibt, die Gefolgschaft verweigern. Wir werden uns vor die bedrohten Flüchtlinge stellen“. Die Bündnis 90-Fraktion im Bundestag konzentriert ihre ausländerpolitische Arbeit derzeit auf ein Antidiskriminierungsgesetz. Außerdem wollen sie über den Bundestag in Brüssel eine europäische Konvention zum Schutz von Roma und Sinti initiieren.
Turbulenzen erzeugen Asyldebatte und Pogrome derzeit in der innerkirchlichen Debatte. Bisher standen die Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) wie ein Fels in der Brandung gegen jede Änderung oder Einschränkung des Artikels 16. Das könnte sich auf der Sitzung des Rats der EKD an diesem Wochenende in Hannover ändern, nachdem der Ratsvorsitzende, der badische Landesbischof Klaus Engelhardt, jetzt erklärt hat, er könne sich vorstellen, daß der Artikel 16 ergänzt werden müsse.
Alarmiert reagierte gestern die „Aktion Sühnezeichen“ auf die Engelhardt-Äußerung: Auf keinen Fall dürfe die Kirche Zeichen setzen, „die faktisch (und natürlich von keinem Verantwortlichen gewollt) eine nachträgliche Legitimierung terroristischer Gewalt gegen Fremde bedeuten würden“. Sollte der Rat der EKD in Hannover seine Haltung zum Artikel 16 ändern, dürfte dies auch einen tiefen Graben zwischen Kirchenleitung und Gemeinden aufreißen, von denen viele sich beispielhaft in der Arbeit mit AsylbewerberInnen engagieren. Bettina Markmeyer
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