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HEW gibt zu: Trinkwasser war radioaktiv

Vorwürfe der BI-Elbmarsch nicht bestritten / Akw  ■ Krümmel

strahlt / Indizien für Radioaktivität als Blutkrebs-Ursache

Der Verdacht, daß Radioaktivität die Leukämieerkrankungen in der Elbmarsch verursacht hat, wird immer mehr erhärtet. Wie berichtet, hat die Bürgerinitiative Elbmarsch alte Untersuchungsberichte über die Atomanlagen in Geesthacht ausgegraben, die belegen, daß dort Mitte der 80er Jahre sogar das Trinkwasser radioaktiv verseucht war. Eine Stellungnahme der Krümmel-Betreiber GmbH von Freitag Nachmittag bestätigt nun die alarmierenden Fakten.

Die Forschungsgesellschaft GKSS hat den behördlichen Auftrag, alle drei Monate das Trinkwasser in Geesthacht zu untersuchen. Im Zeitraum von 1981 bis 1990 wurden in drei Fällen radioaktive Stoffe festgestellt. So hatte die GKSS im dritten Quartal einen Tritium-Wert von 4000 Bequerel pro Kubikmeter gemessen. Cäsium-137 enthielten die Wasserproben im dritten Quartal 1986 und im ersten Quartal 1989. Die Meßwerte, das gibt auch die HEW zu, betrugen im ersten Fall acht, im zweiten 22 Bequerel pro Kubikmeter Trinkwasser. Die Werte liegen unter den Grenzwerten der Strahlenschutzverordnung, was aber unbedeutend ist, da es generell keine mit Sicherheit ungefährliche Dosis von radioaktiven Substanzen in Lebensmitteln gibt.

Wenn auch die Herkunft der Radioaktivität im Trinkwasser nicht 100prozentig geklärt ist, gilt als sicher, daß der Siedewasserreaktor in Krümmel laufend radioaktive Strahlung in die Umgebung entläßt. Das beweisen die Untersuchungsergebnisse des Bundesgesundheitsamtes (BGA) von 1987. Die Turbine sei „nicht sehr stark abgeschirmt“, berichtete das BGA, und könne deshalb zur „Direktstrahlung“ außerhalb der Anlage beitragen. Radioaktiver Stickstoff, der beim Normalbetrieb im Kühlwasser ständig entsteht, gelangt mit dem Dampf in den Turbinenbereich und verstrahlt die unmittelbare Umgebung des AKWs. Dort, im sogenannten außerbetrieblichen Überwachungsbereich, ist eine fünffach höhere Strahlenbelastung zulässig als üblich. An der Elbuferstraße, wo täglich zahlreiche Kinder und Erwachsene entlang gehen, werden diese erhöhten Werte nach Angaben der BI-Geesthacht immer wieder erreicht.

Damit ist die Reihe der Indizien aber noch nicht zuende. Auch ein Spezialistenteam der Internationalen Atomenergie-Organisation stieß im Frühjahr 1987 in Krümmel auf Probleme: Radioaktive Ablagerungen an den Brennelementen lösen sich in diesem Reaktor ungewöhnlich leicht ab. „Ein unerwünschter Vorgang“, wie auch die Betreiber zugeben, denn die radioaktiven Partikel werden mit dem Kühlmittel verteilt und verursachen bei Reparaturen „eine Strahlenbelastung des Personals“. Außerhalb des Kraftwerks sei durch diesen Vorgang jedoch keine erhöhte Strahlenbelastung festgestellt worden. Verwunderlich, angesichts nicht sehr starken Abschirmung.

Der Skandal geht aber noch weiter: Nicht etwa die Fachbeamten, die nach radioaktiven Belastungen als mögliche Ursache der Leukämieerkrankungen suchen sollten, haben diese Belege gesammelt. Die Bürgerinititiativen mußten selbst in die Archive steigen. Die Beamten mochten der niedersächsischen Expertenkommission keine besonderen Vorkommnisse radioaktiver Art melden. Sie verkündeten trotz aller öffentlich zugänglichen Gegenbeweise am Mittwoch, nichts spräche für die Verursachung der Leukämie durch Strahlung. Vera Stadie

Durch redaktionelle Kürzung ist uns in der Samstagsausgabe ein unverzeihlicher Fehler unterlaufen: Auch bei den Eltern der erkrankten Kinder in der Elbmarsch sei Blutkrebs entdeckt worden, 1

2heißt es in unserem Bericht über Krümmel. Tatsächlich wurden bei fünf Erwachsenen aus der Elbmarsch dizentrische Chromosomen im Blut gefunden. Sie sind zwar weiteres Indiz dafür, daß

1Bewohner der Elbmarsch radioaktiver Strahlung ausgesetzt waren, bedeuten aber glücklicherweise nicht, daß die Untersuchten an Blutkrebs erkrankt sind oder erkranken werden.

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