: Wo ein Wille ist, ist auch ein Markt
■ Eine Plastikuhr feiert ihren Markttriumph mit einer pompösen Ausstellung
Sie ist der Marketing-Coup des Jahrhunderts, tickt viel zu laut und vermehrt sich wie ein Kaninchen. Die »Swatch« ist keine Uhr, die Swatch ist ein Kult-Phänomen. Und weil sie zudem ein young urban professional ist, wartet sie gar nicht erst darauf, daß die Designgeschichte ihr ein Denkmal setzt. Selbstgerecht und marketingbewußt feiert sich die Swatch-Familie zu ihrem zehnten Geburtstag einfach selbst, und sie tut es zeitgeistlich und zielgruppenbewußt mit einem Special-Event der pompösen Sorte. »Swatch — Blackbox« heißt die monumentale Ausstellung der Swatchfirma SMH, mit der der lukrative Uhren-Boom auf der Höhe des Erfolges gehalten werden soll. In Berlin präsentiert sie sich derzeit in einem ausrangierten Straßenbahndepot, von dort wird es auf Welttournee gehen, ganz young, ganz urban und sehr professional.
Die Geschichte der Swatch ist die Geschichte unseres modernen Konsum- und Marktverhaltens. Als Anfang der achtziger Jahre japanische Uhrenhersteller den europäischen Uhrenmarkt mit billigen Produkten zu ertränken drohten, litten darunter vor allem die Schweizer. Sie wurden ihre präzisen, schönen und unverwüstlichen Uhren nicht mehr los. Ihr stattlicher Preis — ehemals vordringlichster Kaufanreiz für eine finanzkräftige, elitäre Kundschaft — ließ sich am in Bewegung geratenen internationalen Markt nicht mehr halten. Umsatzeinbußen in Millionenhöhe brachten eine ganze Branche ins Trudeln. Die Zeit tickte plötzlich gegen die Schweiz.
Ein Wunder mußte her, eine billige Uhr, die man teuer verkaufen kann, ein neuer Markt, eine revolutionäre Idee. Als die Designer der angeschlagenen Firma SMH 1981 mit ihrer Idee einer ganz neuen, ganz anderen Uhr an die Türen der großen Uhrenvermarkter klopften, ernteten sie nur Hohn und Spott. Eine Plastikuhr im unteren Preissegment, die für vier Franken fünfundneunzig zu produzieren sein sollte, aus billigen 91 Teilen besteht, dafür aber im Verkauf 65 DM kosten sollte, erschien angesichts des harten Wettbewerbs mit den Japanern völlig unverkäuflich. Aus jener Not, die einen mutig macht, weil einem das Wasser bis zum Halse steht, entschloß sich die SMH, das Produkt, das bis dahin noch niemand haben wollte, selbst zu lancieren. Wo ein Wille ist, ist auch ein Markt.
Mit einem Marketingaufwand, der die Produktionskosten der Swatch sicher weit überstieg, wurde den jungen modernen Menschen auf der ganzen Welt ein neues Verhältnis zu ihrer Uhr eingeimpft. »Nicht eine für immer« sollten wir künftig am Arm tragen, sondern jeden Tag eine andere. Passend zu Kleidung, passend zum Tag, passend zum ständig wechselnden Image wurde die Swatch als Lösung all unserer Lifestyle-Probleme beworben. Und sie wurde es tatsächlich. Mittlerweile gibt es 100 Millionen Menschen, die dem Werbegag einer billigen Plastikuhr aufgesessen sind, wer trendy war, trug zwischenzeitlich gleich vier Uhren an zwei Armen — ein Wunder nur, daß es noch keine Fußmodelle gibt.
Jedes Jahr powert die SMH zwei neue Uhren-Kollektionen mit jeweils dreißig Modellen auf einen nimmersatten Weltmarkt. Werbewirksame Events, limitierte Sondermodelle von namhaften Szene-Künstlern wie Kiki Picasso oder Keith Haring heizten die Sucht nach dem Individuellen in einer konfektionierten Massengesellschaft immer weiter an. »Positives Marktelement« nennt Martin Grossenbachter, Divison Manager der SMH Deutschland, die Sammelsucht der reichen Kids, die für eine Levi's mit dem big E soviel bezahlen, wie andere Leute für einen Gebrauchtwagen, und für die die Swatch schon lange keine Uhr mehr ist, sondern bereits ein tickendes Prestigeobjekt. In ist nicht, wer mit einer Rolex glänzen kann, sondern wer die Erstauflage der noch recht konventionellen »GB 001« oder gar eine häßliche Puschel-Swatch am Arm trägt. Denn die hatte es nur auf einer kleinen, privaten Swatch-Party gegeben. Wie alles Gute und Teure in exquisit limitierter Auflage.
850 Sommer- und Wintermodelle in neun Jahren, Damen- und Herrenversionen, Pop-Swatch, Maxi- Swatch, Chrono-Swatch und Swatch-Automatic — da verliert selbst der akribischste Sammler irgendwann den Überblick. Deshalb gibt es seit zwei Jahren die »Swatch Collectors of Swatch», ein Sammlerverein mit weltweit 80.000 Mitgliedern, 30.000 davon leben allein in Deutschland. Gegen einen Jahresbeitrag von 125 DM — umsonst ist der Tod, Swatch ist Geld! — gibt es jedes Jahr einen Katalog der neusten Modelle, eine Collector's Party und vor allem die Collector's-Swatch. In limitierter Auflage auch sie, das versteht sich von selbst — und damit gleich wieder ein begehrtes Sammelobjekt.
Auch die Swatch-Ausstellung »Blackbox« ist ein Teil dieses verkaufsträchtigen Collector's-Phänomen, das der SMH bei der Vermarktung ihrer immer noch billigen Uhren so sehr in die Hände spielt. Hier sind die vielen bunten Modelle einmal sauber und ordentlich aufgereiht zu besichtigen, hier erschließt sich hinter der überbordenden Vielfalt auch für den unbedarften Betrachter auf einmal so etwas wie ein durchgängiges Prinzip. Die eigene, auf dem Nachttisch so solitär erscheinende Swatch, die man sich einst kaufte, weil einem die Farbe gefiel, das Design stimmte und endlich eine neue Uhr her mußte, wird hier zum winzigen Teil eines großen Gesamtkunstwerkes. Ein Ausschnitt aus einer großeren Lifestyle-Wirklichkeit. Wer die 850 Uhren nicht alle besitzt, hat hier sowieso das Nachsehen, wer wenigstens aus jeder wichtigen Dekade ein Exemplar ergattert hat, kann zumindest rückwirkend sagen, er habe den Trend der Zeit erfaßt.
Die aggressive Verkaufspolitik eines Weltunternehmens, das marktgerecht nachschießt, wo immer sich etwas verkaufen läßt, will zwischen den Wänden des Moabiter Straßenbahndepots zu einem sensiblen Seismographen für Zeit- und Gesellschaftsströmungen avancieren. Zehn wenig originelle Envirenments sollen Erinnerungen an ein vergangenes Jahrzehnt wecken, an das Swatch- Jahrzehnt. Ein Tennisschläger für das Jahr 1984, Puppen und Bambus für das Ethno-Jahr 1986. Das alles verweist natürlich auf nichts anderes als auf die wechselnden Swatch-Designs, die sich auch hier wieder nachträglich als Teil einer modernen Uhrenphilosophie darzustellen wünschen. Am Ende ist aber auch das nichts weiter als ein kluger Werbefeldzug, der den langsam abebbenden Swatch-Boom wieder anheizen soll.
Es wird der SMH sicher gelingen, denn wer billige Plastikuhren, häßliche Sonenbrillen und neuerdings quietschbunte Telefone auf einem totgesagten Markt als Dauerbrenner installieren kann, der hört so schnell nicht auf zu ticken. Auch wenn's schon immer ein bißchen zu laut tickte! Klaudia Brunst
»Swatch — Blackbox« noch bis zum 20.September im Straßenbahndepot, Wiebestr.29, Moabit
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