MIT DEM LIRE-KAPITALISMUS AUF DU UND DU
: Armes Italien!

■ Abwertung der Lira demütigt Italiens Regierungschef

Rom (dpa/taz) — Sichtlich aufgewühlt, unrasiert und übermüdet trat Italiens Regierungschef Giuliano Amato am Montag morgen vor die Fernsehkameras. Er versuchte das Unmögliche und wollte die Abwertung der Lira als „Erfolg“ verkaufen, die dem Land helfen soll, wieder aus seiner desolaten Wirtschafts- und Finanzlage zu kommen. Nachdem „Doktor Feingeist“ wochenlang beteuert hatte, es dürfe und werde keine Abwertung geben, konnte Amato auch mit dem Hinweis auf die deutsche Zinssenkung jedoch nur schwer überzeugen. Fast einstimmig werteten Italiens Kommentatoren den Kursverlust als „bittere Niederlage“ (Corriere della Sera) der römischen Wirtschaftspolitik.

Die Lira war am Sonntag bei einer Neuanpassung (Realignment) im Europäischen Währungssystem (EWS) um 3,5 Prozent abgewertet worden. Gleichzeitig wurden die anderen EWS-Währungen um 3,5 Prozent aufgewertet. Die Abwertung und die Zinssenkungen würden die italienische Wirtschaft entlasten, den Wechselkursmarkt stabilisieren, das Vertrauen in die Staatsanleihen stärken und die Börsen beleben, erklärte der Regierungschef anschließend. Industrielle wie Giorgio Falck und Carlo De Benedetti kritisierten dagegen, die Abwertung komme zu spät, habe Exportchancen geschmälert und dem Staat enorme Verluste beschert. Und der mächtige Fiat-Chef Giovanni Agnelli forderte von der Regierung „endlich mutige Maßnahmen“ zur Sanierung der Staatsfinanzen. Der linksgerichtete Gewerkschaftsverband CGIL verlangte angesichts der drohenden Preissteigerungen sogar ein Einfrieren der Preise.

Finanzexperten schätzen, daß Italien in den letzten Monaten Devisen für 40.000 Milliarden Lire (rund 54 Mrd. Mark) hinausgehauen hat, um die Lira zu stützen — ohne Erfolg. Markt und Spekulation gegen die Lira waren stärker, die seit langem überbewertete Währung nicht mehr zu halten. Nach der Demütigung an der Währungsfront drohen Italien altbekannte Gespenster: ein Emporschnellen der Inflation, drastische Einschnitte ins soziale Netz und drohende soziale Unruhen sowie, wieder mal, eine Regierungskrise. Zwar werden Exportprodukte auf dem Weltmarkt durch die Abwertung billiger, aber selbst Italiens Nationalbank fürchtet laut dem konservativen Tempo eine Inflationsrate von elf Prozent. Amatos Wunsch nach einem wirtschaftspolitischen Ermächtigungsgesetz, mit dem die Regierung drei Jahre lang ohne Zustimmung des Parlaments drastische Ausgabenkürzungen, Eingriffe ins Rentensystem oder Steuererhöhungen vornehmen könnte, stieß ebenfalls auf erbitterten Widerstand. Die Inflationsfolgen ließen sich aber nur verhindern, wenn Amato mit strikten Einsparungen den hochdefizitären Staatshaushalt und damit den Kapitalmarkt entlasten würde — dafür gibt es aber kaum Anzeichen. es