: Die Stärke der D-Mark ist vor allem eine Schwäche des Dollar
■ Auf den Geldwert haben nicht nur die Politik der Bundesbank, die Haushaltspolitik und die Kreditnachfrage Einfluß, sondern auch das Geschehen an den Devisenmärkten
Die D-Mark ist ihrer Aufwertung am Wochenende nur knapp entgangen. Die Bundesbank mußte versprechen, die hohen deutschen Leitzinsen zu senken — und damit die Mark ein wenig weicher zu machen. Die italienische Lira hingegen wurde faktisch gleich um sieben Prozent abgewertet. Aber war nicht auch die D-Mark vor ganz kurzem noch von Inflation und Aufweichung bedroht? So paradox es klingt: Sie ist es weiterhin — auch wenn ihre derzeitige Stärke auf den Devisenmärkten das Europäische Währungssystem (EWS) im vergangenen Monat kräftig durcheinanderwirbelte.
Wie hart oder weich eine Währung ist, hängt von der Stärke der dazugehörigen Volkswirtschaft ab. Inflation entsteht immer dann, wenn die Geldmenge schneller wächst als das Sozialprodukt, dem im Umlauf befindlichen Geld also kein entsprechendes Angebot an Waren und Dienstleistungen gegenübersteht. Und seit der Währungsunion mit der damals Noch-DDR wächst die Geldmenge schneller, als es die Bundesbank erlauben will.
Die Bundesbanker nutzen als wichtigstes Kriterium für ihre Zinspolitik (s. Kasten) die Geldmenge M3, die alles im Umlauf befindliche Bargeld sowie Sicht-, Termin- und Spareinlagen umfaßt. In den vergangenen Wochen mehrten sich allerdings die Stimmen von Kritikern, die M3 nicht für das richtige Maß aller Gelddinge halten: Gerade weil die Zinsen so hoch sind, lieben vermögende Menschen das zu M3 gehörige kurzfristige Termingeld als Anlageform; weshalb M3 bei hohen Zinsen nicht wie beabsichtigt sinkt, sondern im Gegenteil steigt. Die Inflation, so diese Kritiker, sei mit 3,5 Prozent erträglich. Die hohen Zinsen lähmten derzeit vor allem die Entwicklung der Wirtschaft, weil es sich keine UnternehmerIn mehr leisten könne, Kredite für Investitionen aufzunehmen. Bis zu einem gewissen Grade und über einen kurzen Zeitraum ist dieser konjunkturlähmende Effekt beabsichtigt. Normalerweise rechnen die Bundesbanker damit, daß sie mit hohen Zinsen die Geldmenge sehr schnell wieder in den Griff bekommen. Normalerweise bremsen hohe Zinsen die Neigung von UnternehmerInnen, VerbraucherInnen und auch des Staates, sich die so verteuerten Kredite zu besorgen. Nur seit der deutschen Währungsunion greift das bewährte Mittel offenbar nicht.
Seither hat die Bundesbank die Leitzinsen fünfmal erhöht, zuletzt am 16. Juli auf die Nachkriegsrekordsätze von 9,75 für den Lombard- und 8,75 für den Diskontsatz. Der Grund sind die hohen Subventionen, die der Staat für den Aufbau Ost zahlt — und auf Pump finanziert. Rund ein Sechstel aller im Jahr 1991 von den Banken vergebenen Kredite waren so künstlich zinsverbilligt, in diesem Jahr sieht es ähnlich aus.
Diese Tatsachen sind denn auch der Grund dafür, daß die Zinssenkung des Lombardsatzes um 0,25 auf 9,5 Prozent, des Diskontsatzes um 0,5 auf 8,25 Prozent nicht allzu üppig ausgefallen sind. Die immer noch sehr hohen Zinssätze taugen jedenfalls kaum, die deutsche Konjunktur anzukurbeln, tun aber dem Wochenend-Versprechen der Bundesbank Genüge. Streng nach deren Stabilitätsregeln wäre gestern nicht der richtige Zeitpunkt gewesen, die Leitzinsen zu senken. Nun haben aber auf den Geldwert nicht nur die inländische Politik der Bundesbank, die Haushaltspolitik der Bundes- und Landesregierungen sowie die Kreditnachfrage von Unternehmen und Verbrauchern Einfluß, sondern auch das Geschehen an den Devisenmärkten, auf denen die Wechselkurse ausgehandelt werden.
Nach Lehrbuch orientieren sich die Wechselkurse der Währungen ebenfalls an der Stärke der dazugehörigen Volkswirtschaften und spiegeln deren Wirtschaftskraft wider. Jede Veränderung in einer Volkswirtschaft verändert somit auch den Wechselkurs zu anderen Währungen. Wenn die Bundesbank die Zinsen erhöht, wird eine Anlage in D-Mark natürlich attraktiver, ihr Kurs steigt, die Importe werden billiger, Exporte allerdings teurer. Wenn dann die Konjunktur nachläßt, weniger produziert wird und das Anlagekapital in produktivere Länder weiterwandert, sinkt der Kurs wieder und kurbelt die Exporte an. Die Veränderbarkeit der Wechselkurse kann so als Puffer zwischen unterschiedlichen Länder-Entwicklungen dienen.
Neben diesen sachlichen Gründen bestimmen zusätzlich die Devisenspekulanten die Wechselkurse — je nach dem, welche Konjunkturdaten in welchem Land sie gerade als die gravierenderen ansehen. So bemerkten sie kollektiv vor ungefähr vier Wochen, daß die Konjunktur in den USA entgegen aller Hoffnungen sich nicht gebessert hat und beide Präsidentschaftskandidaten kein überzeugendes Wirtschaftsprogramm vorgelegt haben — beides keine sonderlich neuen Erkenntnisse. Die Zinsen in Deutschland waren ebenfalls schon seit längerem hoch, die Wirtschaftsdaten hierzulande zeigen außerdem immer mehr Richtung Rezession. Dennoch schichteten die Devisenhändler plötzlich Unmengen von Dollar-Anlagen in D-Mark um, nachdem die Bundesbank bekanntgegeben hatte, daß die Geldmenge M3 sich immer noch schneller ausweitet, als die Bundesbank das will. So ist die D-Mark-Stärke vor allem eine Dollar-Schwäche, hat aber dennoch Auswirkungen auf die Wechselkurse der D-Mark zu den anderen EG-europäischen Währungen, die nicht einfach unbegrenzt Kursverluste hinnehmen können, weil sie im Europäischen Währungssystem fest mit der Mark verbunden sind.
Das EWS war am 13. März 1979 von den Staats- und Regierungschefs der EG ins Leben gerufen worden, um innerhalb der Gemeinschaft eine Zone stabiler Währungen zu verwirklichen.
Im Währungskorb stehen die beteiligten Währungen in einem festgelegten Verhältnis zueinander (s. Graphik). Die Wechselkurse der Partnerwährungen dürfen untereinander in einer Bandbreite von 2,25 oder sechs Prozent (Spanien, Großbritannien und Portugal) nach oben oder unten schwanken. Werden diese Margen überschritten, greifen die Notenbanken stützend an den Devisenmärkten ein. So entstand in Europa dank der relativ starren Wechselkurse eine stabile Währungszone, in der die D-Mark gerade wegen der strengen Antiinflationspolitik der Bundesbank schnell zur Ankerwährung wurde. Donata Riedel
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