Welt der vier Sinne

■ Der neue Film "Brücke für Ben" von Gabor Altorjay versinnbildlicht die Lebenssituation von Hörgeschädigten

von Gabor Altorjay

versinnbildlicht die Lebenssituation von Hörgeschädigten

Von „Bildern“ wird vornehmlich gesprochen, wenn ein Kinoerlebnis vermittelt werden soll. Die „Töne“ hingegen, die zur Leinwandprojektion den Raum beschallen, verdienen bei jenen, die sehen und hören können, kaum Beachtung. Die Dominanz des Visuellen über das Akustische wird nur selten hinterfragt, auch nicht im Kino selbst.

Wo etwa bei Wenders, Jarmusch oder Chen Kaige blinde Figuren zur kritischen Reflexion unserer Sehgewohnheiten, wenn nicht zur globalen Zustandsbeschreibung einladen sollen, scheinen Hörbehinderungen allenfalls zur Charakterisierung von schrulligen alten Tanten zu taugen. Brücke für Ben von dem Hamburger Regisseur Gabor Altorjay ist so vielleicht der erste Film, der Schwerhörigkeit nicht nur thematisiert, sondern auch filmisch zu vergegenwärtigen sucht.

Ben (William McCagg, der, zugleich Drehbuchautor, seine eigenes Dilemma thematisiert und darstellt), ein älterer amerikanischer Zahnarzt, lebt zunehmend in einer isolierten Zwischenwelt. Nicht mehr als einen Bruchteil dessen, was er hört, kann er noch verstehen, der Großteil terrorisiert seinen Verstand als undifferenziertes Geschrei. Ben müßte die Gebärdensprache erlernen, doch ihm mangelt es sowohl am Eingeständnis in seine Krankheit als auch an dem Selbstverständnis und der Sozialisation eines taub Geborenen.

Auf einem Kongreß in Hamburg trifft er Geza (Jerzy Stuhr), der die Identitätskrise seines Freundes erkennt und ihn nach Budapest einlädt. Dort schlägt das gutmütige Schlitzohr ihm eine Art privates joint venture vor. Seine Kontakte zur Filmszene sind gut, und ein Film über Bens Wahrnehmung könnte eine mediale „Brücke“ zur Welt der Hörenden (und der Tauben) schlagen. Im Gegenzug müßte der wohlhabende Amerikaner nur die Einrichtung einer Privatpraxis für Geza ermöglichen. Ben willigt ein: ein erster Schritt aus der Isolation.

Die Schilderung der mageren Handlung, die wohl vor allem Schwerhörigen Mut machen soll, kann jedoch nicht die Qualität von Altorjays knapp halbstündigem Schwarz-weiß-Film wiedergeben. Denn er selbst schlägt mit den Mitteln des Films eine Brücke zwischen den getrennten Wahrnehmungswelten. Gleichberechtigt stellt Altorjay ein Sprachgewirr aus Deutsch, Englisch, Polnisch, Ungarisch und Gebärden nebeneinander und unterminiert so die Selbstverständlichkeit, mit der die Hörenden ihren privilegierten Status annehmen. Die Hilflosigkeit der Gehörlosen wird nachvollziehbar und zugleich der polyphone Reichtum der Alltagswelt bewußt.

Als wohl erster Film der Filmgeschichte auch für Hörgeschädigte untertitelt, übersetzt er nicht nur Sprache, sondern auch Geräusche und Musik in Schrift. Diese nur

partiell verstehbare Flut an Kommunikationsformen und zugleich die Demonstration ihrer Möglichkeiten erzeugt in den besten Momenten des Films eine irritierende Spannung. Doch Altorjay zeigt auch ihre Grenzen. Dem Film unterlegt sind Motive aus Mozarts Zauberflöte, die für Ben und seine Leidensgenossen nurmehr schmerzlich erinnert werden können.

Zur heutigen, auch vom Bund der

Schwerhörigen e.V. Hamburg getragenen, Premiere (im Doppelprogramm mit Altorjays zwei Jahre altem Kurzfilm Polsprung) wird im Abaton eine Schwerhörigen-Anlage aufgebaut, die zum Ende des Monats im Großen Kino fest installiert werden soll. Über ähnliche Anlagen verfügen in der Hansestadt bisher lediglich die Staatstheater. Hans-Jost Weyandt

Abaton, 20.15 Uhr