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SOMNAMBOULEVARD — MOTTEN IM GEHIRN Von Micky Remann

Mit einem scheppernden Gongschlag verbeugt sich grinsend der Gast des somnambulen Salons von heute nacht, der schlafwandelnde Zen-Mönch Koanica aus dem kognitionswissenschaftlichen Kloster der japanischen Photoindustrie. Wir, das Publikum, sitzen auf einer mondbeschienenen Wiese und schlürfen schlafend grünen Tee. „Wer ist der Meister, der das Gras grün macht?“ fragt Koanica, und natürlich weiß kein Schwein die Antwort. Nach einer langen Pause des Schweigens und Schlürfens erklärt sich der Meister schließlich.

„Das träumende Gehirn“, sagt er, ohne sich zu räuspern, „erweist sich als eine Multimedia-Kamera, die um so leistungsfähiger ist, je fester die Verschlußkappe auf der Linse sitzt. Und ein Film ist auch nicht drin. Weit und breit ist weder ein Motiv, noch ein Trägermedium, das die nichtvorhandenen Bilder einfangen könnte. Trotzdem drückt jemand, wahrscheinlich du selbst, schlafenden Auges dauernd auf den Auslöser — klick. Und ungeachtet der verschwundenen Außenwelt fliegt dir dabei jede Menge Realität um die Ohren, Farben, Töne, Gerüche, Action kommt auf, der ganze Somnamboulevard offeriert sich als photo opportunity für staunende Panoramatouristen. Und es entstehen bleibende virtuelle Schnappschüsse, ohne wirklich dabeizusein, und das ist eine Höchstleistung der Echtzeit-Bilderzeugung, Bildverarbeitung und Bildspeicherung, an die keine Photokina- Messeneuheit heranreicht.

Um ein Beispiel zu geben, möchte ich aus dem Traum eines Kognitions- Novizen zitieren. Der stand neulich an der Kasse eines Elektrogeschäfts, als plötzlich diese kleine Motte vor seinen Augen hin- und herflog. Anfangs wollte er das lästige Insekt verscheuchen, aber das gelang nicht, im Gegenteil, die Motte wurde immer größer und bunter und wuchs zu einem gigantischen Schmetterling heran. Schon hatte das Wesen die Größe eines fliegenden Rochen erreicht, dessen Flügel hauchdünn wie Klarsichtfolie waren. Auf dieser Folie ereigneten sich die tollsten Farbkaskaden und 3-D-Panoramen, wie bei einem in allen Farben des Regenbogens schillernden Kunstchamäleon. Alle folgten dem Schauspiel, besonders, seit die Flattermotte mit den changierenden Vorder- und Rückseiten ihrer Flügel ein Pas de deux der faszinierendsten Bildwechsel aufs Parkett legte. Ab und zu tauchten klassische Motive auf, ein Hauch von Rembrandt hier, ein fliegender Breughel da. „Das erfordert doch eine unglaubliche Computerkraft, einmal die Flugbewegungen zu koordinieren, zum anderen diese Bilder!“ Staunte der Kognitions-Novize im Traum. Darauf fragte der Kassierer des Elektroshops, nachdem er sich in einen Zen-Lehrer verwandelt hatte: „Ist der Meister, der das Gras grün macht, nicht derselbe wie der, der die Motte färbt?“ Da ging dem Novizen ein Licht auf: „Das bin ja ich!“ Sprach's und wachte — klick — auf im Hirn.“ Das erzählt Koanica, der somnambule Photomönch, während wir, sein Publikum, schon wieder eingeschlafen sind.

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