: Das Leben hilft sich selbst
■ Gerhard Midding sprach mit Alexandre Rockwell, dem Regisseur der Filmkomödie „In The Soup“, die heute in den Kinos startet
taz: „In The Soup“ schien mir wie eine Antwort auf Fragen, die mich bei Ihrem letzten Film „Sons“ beschäftigten. Einer der Bezugspunkte zwischen beiden Filmen ist das Generationenthema. Was reizt Sie an dieser Konstellation: Ein junger Träumer trifft auf einen erfahrenen Mann, der erheblich mehr Vitalität besitzt und vielleicht auch etwas verrückter ist?
Alexandre Rockwell: Ich liebe die Vorstellung, daß Gegensätze sich anziehen. Ich liebe es, wenn Figuren ganz unterschiedlicher Herkunft und mit ganz unterschiedlicher Lebenseinstellung aufeinandertreffen. Dann wird nämlich plötzlich alles zur Herausforderung: Es müssen völlig neue Lösungen für das Leben gefunden werden. Außerdem glaube ich, daß es für einen jungen Menschen wichtig ist, einen Mentor zu finden. Jemand, der ihn inspiriert und provoziert, der ihn zwingt, seine bisherige Welt zu verlassen. Der junge Filmemacher bei „In The Soup“ bringt Unschuld, Sehnsucht, Träume in die Beziehung ein. Der alte Gangster hingegen ist ein harter Bursche, der nur für den Augenblick lebt. Sie ergänzen sich gut, und zwischen beiden springt ein Funke über. Das zu beobachten, interessiert mich als Filmemacher.
Eher als Autor oder eher als Regisseur, der eine solche Beziehung mit Schauspielern erarbeitet?
Beides natürlich. Eine Geschichte mit solchen Figuren schreibt sich leicht. Nehmen wir eine Situation wie den Autodiebstahl: Für den einen ist das etwas ganz Normales. Für den anderen geht die Welt unter. Er kann nicht glauben, daß er in einem gestohlenen Wagen sitzt! Der zu allem Überfluß auch noch einem Polizisten gehört! Er sieht schon die Schlagzeilen in der Zeitung und hat schon Angst, daß ihn seine Mutter aus dem Gefängnis holen muß. Mit Schauspielern wie Seymour Cassel und Steve Buscemi macht das Drehen einer solchen Szene natürlich besonderen Spaß. Der eine ist ein Tornado, ein absolut verrückter Typ, und der andere ist eher ruhig und besonnen.
Die Beziehung der beiden verleiht dem Film Vitalität. Dabei hat er die langweiligste Prämisse, die man sich vorstellen kann: die Erlebnisse eines jungen Burschen, der glaubt, er müsse unbedingt Filmemacher werden.
Außer Ihnen hat das bisher noch niemanden gestört. Aber Sie haben recht: Man kann sich kaum eine unsympathischere Figur vorstellen als jemanden, der einen Film machen will. Wenn eine Figur sagt: „Ich muß ins Krankenhaus, denn ich brauche dringend ein neues Herz“, empfindet man Sympathie für sie. Aber wer mag schon eine Figur, die sagt: „Ich brauche eine Million Dollar, denn ich will einen Film machen“?
Darüber habe ich mir beim Schreiben viele Gedanken gemacht, denn es ist wichtig, daß der Zuschauer die Hauptfigur mag. Meine erste Lösung für dies Problem war, daß ich die Rolle mit Steve Buscemi besetzt habe: Er ist auf Anhieb sympathisch, er wirkt einfach wie ein netter Kerl.
Die zweite Lösung: Ich entschloß mich, keinen Film über das Filmemachen zu drehen. Niemand im Film hat eine Ahnung davon, wie man Filme macht. Es geht vielmehr um einen Träumer, der etwas schaffen will, etwas Künstlerisches, Unsterbliches, Lebendiges. Der Traum ist wichtig: Er könnte auch davon träumen, Brücken zu bauen. Mit einem Träumer können sich die Zuschauer identifizieren.
Ja, und man bedauert es am Ende des Film kein bißchen, daß er sein Drehbuch nicht verfilmt hat.
Gut, daß er es nicht getan hat! Es klingt prätentiös und lächerlich, wie die Drehbücher, die ich selbst vor zehn Jahren machen wollte. Man liest zwei Sätze, und schon möchte man weglaufen... dennoch: Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr Lust bekomme ich, den Film zu sehen. Sich vorzustellen, wie Dostojewski und Nietzsche Pingpong spielen!
Der Titel des Drehbuches, „Unconditional Surrender“, um das es im Film geht, paßt eigentlich auch ganz gut zu Ihrem Film. Speziell auf Adolpho, den jungen Filmemacher, der sich einer Situation und einem anderen Menschen ausliefert.
Da sich Adolpho von Anfang an passiv verhält und in Situationen gerät, zu denen er nicht selbst den Anstoß gegeben hat, trifft der Titel besonders auf ihn zu. Es ist so, als würde er sich auf einen Fluß begeben und sich fortan treiben lassen. Er wird in eine fremde Welt entführt, in der jede Situation ihn vor neue Erfahrungen stellt.
Die Kameraarbeit unterstreicht dieses Prinzip. Subjektive Fahrten scheinen Adolpho in die jeweiligen Situationen hineinzuziehen.
Im Rückblick fällt mir auf, daß das für jede Kamerabewegung im Film gilt. Das fängt schon gleich zu Beginn an: die Begegnung mit den beiden Hausmeistern, mit Anjelica (Jennifer Beals), sogar das erste Treffen mit Joe (Seymour Cassel) wird mit einer solchen Fahrt eröffnet. Das muß ich beim Drehen mit Absicht gemacht haben, wahrscheinlich, weil ich auch das Publikum ins Geschehen hineinziehen wollte. Es gibt nur eine Kamerabewegung, die nicht dieser Idee folgt. Das ist die letzte Einstellung, in der sich die Kamera nicht auf etwas zu bewegt, sondern sich vielmehr von den Figuren fortbewegt.
Ein weiteres Stilprinzip, das ich in jeder Szene entdeckt zu haben glaube, ist das Moment der Überraschung: In jeder Situation laufen Adolphos Erwartungen ins Leere.
Ja, der Film ist voller Situationen, deren Auflösung seinen Erwartungen widerspricht. Das ist eine gute Art, Geschichten zu erzählen. Es macht Spaß, mit Erwartungen zu spielen.
Hat das Spiel mit den Erwartungen Adolphos aber nicht auch eine geradezu moralische Dimension? Wären sie erfüllt worden, hätte er am Ende nichts dazugelernt.
Das ist eine ganz entscheidende Wandlung, von der ich erzähle. Adolpho lernt, daß er vom Leben nichts Bestimmtes erwarten darf. Das Leben hilft sich selbst. Deshalb konnte ich diese Geschichte auch in lauter Anekdoten erzählen; am Ende summieren sich all diese kleinen Situationen zu einem Lernprozeß. Und wenn Adolpho am Ende sagt: „Warum mache ich nicht einen Film über uns?“, markiert das die Wandlung, die er durchgemacht hat. Zuvor hätte er einen Film gemacht über alles Mögliche, aber sicher nicht über etwas, das er kennt.
Er gibt seine hochfliegenden Pläne auf und ist nun bereit, einen „persönlichen“ Film zu machen. Lag in Ihrer Entscheidung, „In The Soup“ in Schwarzweiß zu drehen, eine ähnliche Beschränkung?
Natürlich war es auch eine Frage des Geldes, aber nicht vorrangig. Schwarzweiß vereinfacht die Dinge sehr. Durch Farbe entstehen Unordnung und Ablenkung. Wenn man sich in einem Raum umschaut, fallen einem zunächst die Farben auf. Wenn ich aber hier in dieser Situation Schwarzweiß drehen würde, könnte ich mich ganz auf Sie konzentrieren, und der rote Stuhl im Hintergrund würde die Aufmerksamkeit nicht ablenken. In einem Schwarzweißfilm kann man sich also leichter auf die Charaktere konzentrieren. Hinzu kommt, daß dieser Film lauter Assoziationen zu Schwarzweißfilmen weckt: Man denkt ein wenig an Gangsterfilme, an die Zeit des Film noir, aber auch an die ersten Filme der Nouvelle vague. Die meisten New-York-Filme, an die ich dachte, sind ebenfalls in Schwarzweiß.
Haben Sie auch an „Shadows“ von Cassavetes gedacht? Vor allem wegen der starken Kontraste drängte sich mir diese Assoziation auf.
Den Film liebe ich sehr. Er unterscheidet sich sehr von seinen späteren Filmen, in denen er sich vorrangig für die Schauspieler interessierte. Ich habe mich bemüht, etwas mehr zu experimentieren. Ich wollte zurückkehren zu den Anfangsgründen des Filmemachens. Jeder meiner Filme ist eine Antwort auf den vorangegangenen. „Sons“ war ein sehr schwieriger Film für mich. Ich hatte nicht genug Geld, es gab einige sehr schmerzliche Erfahrungen, die ich mit dem Stoff verband. Bei „In The Soup“ wollte ich mich wieder aufs Neue ins Filmemachen verlieben.
Seymour Cassel ist eigentlich ein typischer Cassavetes-Darsteller. Wie sehr hat er seine Rolle geformt?
Ich traf Seymour bei einer Cassavetes-Retrospektive. Zunächst konnte ich ihn überhaupt nicht leiden: eine richtige Nervensäge, ein absolut verrückter Typ. Und er ist unberechenbar. Wenn man abends mit ihm zum Dinner verabredet war, konnte es passieren, daß er sich mit einer Frau verabredet hatte und sie warten ließ, während er dann plötzlich mit einer ganz anderen Verabredung auftauchte.
Aber irgendwie kann man ihm nicht böse sein, denn er ist geradeheraus, und sein Verhalten ist bei aller Verrücktheit ganz unverfälscht. Er ist wie ein Kind in einen Süßigkeitenladen.
Für einen Regisseur ist das natürlich faszinierend: Er ist absolut ehrlich und verstellt sich nicht. Nachdem ich ihn etwas näher kennenlernte, fing ich an, eine Rolle für ihn zu schreiben. Ich hatte beim Schreiben ständig seine Stimme im Kopf. Auf diese Weise war er also der Autor seiner Rolle, ich schrieb im Grunde nur auf, was er sagte. Und ich finde, das zeichnet einen guten Schauspieler aus: daß man sich ihn und niemanden anderes beim Schreiben der Rolle vorstellen kann.
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