„Sozialistische Internationale ist besser als IWF“

Bei ihrem dreitägigen Kongreß in Berlin einigten sich die 600 Delegierten auf vage Kompromisse/ Konfliktthemen wurden ausgeklammert/ Die zahlreichen Gäste aus Entwicklungsländern hielten sich zurück/ Sechs neue Vollmitglieder aufgenommen  ■ Aus Berlin Dorothea Hahn

Das familiäre „Du“ hat sich gehalten. „Ihr“ sagten die in dunkle Anzüge gekleideten Redner — und die wenigen Rednerinnen —, wenn sie vor den 600 Delegierten aus 132 Ländern beim Kongreß der Sozialistischen Internationale (SI) im Berliner Reichstag am Mikrofon standen. Doch auf die Anrede „Genosse“ wartete man vergebens. Statt dessen gab es „liebe Freunde“ oder „liebe Kollegen“. Was folgte, waren staatsmännisch ausgewogene Worte und viel Realpolitik.

In schwarzen Limousinen, von Polizeikräften eskortiert, ließen sich die prominenten Sozialisten morgens von ihren Nobelhotels zum Reichstag kutschieren. Einige von ihnen — darunter der spanische Regierungschef Felipe Gonzalez und sein israelischer Kollege Jitzchak Rabin — hatten zuvor Kanzler Kohl ihre Aufwartung gemacht.

Auf dem Weg zum Reichstag waren sie für einige Schritte mit politischen Protesten konfrontiert. Mal demonstrierten BrasilianerInnen gegen den allnächtlichen Mord an Straßenkindern in Rio, mal beschuldigten KurdInnen den türkischen Sozialdemokraten und Vize-Regierungschef Inönü des „Mordes“ an ihren Landsleuten. Doch kaum hatten die Delegierten den Sicherheitscheck am Eingang hinter sich gelassen, tauchten sie in eine heile sozialdemokratische Kongreßwelt ein: Drei Tage lang blieben im Inneren des Reichstages sämtliche Konfliktthemen ausgeklammert. Es gab keine lauten Worte, keine Solidaritätserklärungen, keine Flugblätter. Niemand entwarf soziale Utopien. Die beiden Schlußdokumente sind vage Kompromißpapiere. Darin plädieren die Delegierten dafür, das „Friedenserhaltungspotential der UNO zu verstärken“ und sprechen sich für den Schutz von Minderheiten aus.

Nur für ganz kurze Momente kam ein gemeinsames Gefühl auf: Beinahe immmer war es mit dem Namen Willy Brandt verbunden. Die schwere Krankheit des Mannes, der die SI 16 Jahre lang führte und zu diesem Kongreß nicht mehr anreisen konnte, machte allen zu schaffen. Und zustimmendes Kopfnicken erntete, wer feststellte: „Der Willy fehlt uns verdammt.“

Auch der als Starredner eingeladene Gorbatschow konnte einmal begeistern. Er versicherte, daß der demokratische Sozialismus noch Zukunft habe.

Die zahlreichen Gäste aus Entwicklungsländern hielten sich zurück. Am Rednerpult wechselten sich vor allem europäische Parteiführer ab — die norwegische Premierministerin und SI-Vizepräsidentin Gro Harlem Brundtland war eine von ganz wenigen Frauen am Mikrofon. Der Spanier Felipe Gonzalez, der Deutsche Engholm, der Grieche Papandreou, der Brite John Smith, der Schwede Ingvar Carlsson — sie alle hatten längst Stellung zu den Nord-Süd-Problemen genommen, bevor der erste Redner aus „dem Süden“ das Wort ergriff.

Mögliche „Störfaktoren“ im Reichstag, wie der — geladene — Gast von der PLO, Faiz Abu Rahme, wurden der Einfachheit halber hinauskomplimentiert. Arabische Delegierte erzählten später, der israelische Premierminister und Sozialdemokrat Rabin habe den Rausschmiß des Palästinensers verlangt. Andernfalls werde er selber gehen.

Die Leitlinien dieses dreitägigen SI-Kongresses — dem ersten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion — standen lange vor seinem Beginn fest. Im März hatte sich das Präsidium der Sozialistischen Internationale in Madrid getroffen. Das Ergebnis war unter anderem der Fingerzeig auf den Franzosen Pierre Mauroy als Nachfolger von Willy Brandt. Er war der einzige Kandidat. Und erwartungsgemäß reagierte die Versammlung gestern auf die Frage, „Seid ihr einverstanden?“ mit langanhaltendem Applaus.

Auch die Namen der Neumitglieder im erlauchten Kreis der SI standen längst vor Kongreßbeginn fest. In den vergangenen drei Jahren war das Etikett „sozialdemokratisch“ auf dem internationalen Parkett begehrt wie nie zuvor. An die 70 Parteien — darunter besonders viele aus Schwarzafrika und Mittel- und Osteuropa — hatten sich um eine Mitgliedschaft beworben. Unter den Bewerberinnen war auch die einst größte kommunistische Partei Westeuropas: Seit gestern ist die italienische „Partei der demokratischen Linken“ (PDS), die das „Kommunistische“ schon vor Jahresfrist aus ihrem Namen gestrichen hatte, ganz offiziell sozialdemokratisch. Jetzt tummeln sich drei SI-Mitglieder in Italiens Parteienlandschaft.

Besonders außerhalb Westeuropas ist die SI attraktiv. „Sie ist ein wichtiges Forum, mit viel Einfluß auf die internationale Politik“, erklärte der Delegierte Arnaldo Ramos von den Kapverdischen Inseln. Seine „Afrikanische Unabhängigkeitspartei“ (PAICV) ist nach einem Beitrittsantrag zwei Jahre lang von der SI auf Herz und Nieren geprüft worden. Zur Vollmitgliedschaft hat es dennoch nicht gereicht — die PAICV bekam nur den Beraterstatus. Aus Zaire haben gleich drei Organisationen um Mitgliedschaft ersucht. Sie wurden alle abgelehnt. Begründung: Die Verhältnisse in ihrem Land seien „zu unklar“. Eine solche Abfuhr hat sich Edem Kodjo von der „Union für Demokratie“ aus Togo nicht geholt. Er war nach Berlin gekommen, um die SI kennenzulernen. Aber auch für ihn stand von vornherein fest: „Die Sozialistische Internationale ist besser als der IWF.“

Die Führung der SI entschied, sechs Parteien als Vollmitglieder aufzunehmen (neben der PDS sind das: MIR aus Bolivien, PNPRA von Haiti, USFP aus Marokko, PIP aus Puerto Rico und die „Slowakischen Sozialdemokraten“). Weitere 22 Parteien erhielten den Berater- oder Beobachterstatus. Kritik an dieser Auswahl gab es lediglich im Fall der MSZDP aus Ungarn. Da bezweifelten ein paar baltische Delegierte, daß Parteichef Guyula Horn als früherer kommunistischer Außenminister ein echter Demokrat sei.

Die regionale Zusammensetzung der SI mit bislang 88 Mitgliedsparteien bleibt nach dem Kongreß in Berlin beinahe unverändert. Auch in Zukunft stammen ihre Mitglieder vor allem aus Westeuropa und Lateinamerika. Die meisten BewerberInnen aus Afrika und dem europäischen Osten sitzen bei der SI in der zweiten Reihe oder ganz vor der Tür.