: Welcher Schulhof verträgt Asylbewerber?
Ein Trauerspiel mit Happy-End im Hamburger Nobelviertel Ohlstedt: Eltern lehnten Unterbringung von Flüchtlingen in Containern auf dem Schulhof ab/ Ein Gymnasium erbarmte sich der Flüchtlinge/ Marmorkuchen zur Begrüßung ■ Aus Hamburg Sannah Koch
Alpenveilchen und Marmorkuchen: Willkommensgrüße für Flüchtlinge aus Nigeria, Rumänien und Lettland, gestern im Hamburger Nobelvorort Ohlstedt von SchülerInnen an die neuen Nachbarn überreicht. Hamburgs Norden: heile Welt für AsylbewerberInnen? Weit gefehlt. Dem medienwirksamen Happy-End war ein Melodram deutschen Zuschnitts vorausgegangen.
Mitte August mußte Hamburgs Sozialsenator Ortwin Runde vor dem drängenden Zustrom von Flüchtlingen kapitulieren. Zehn Containerdörfer als Notprogramm, dringend benötigt in nur zwei Wochen, sonst drohe die Unterbringung von AsylbewerberInnen in Zelten, Bunkern oder Turnhallen, so Rundes Ankündigung. Hamburgs BezirksamtsleiterInnen suchten und fanden innerhalb von zwei Tagen freie Stellflächen — der Kraftakt lief reibungslos an. Doch Rostock warf auch auf Hamburg seine Schatten. Hanseatische Pfeffersäcke wurden hier zu den Hauptakteuren in einem trostlosen Verhinderungsschauspiel.
Der Aufstand nahm seinen Anfang in Ohlstedt. Weißgetünchte Villen, Pferdewiesen, Spielflächen, von denen die Hamburger Asphaltkinder nur träumen können, ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 90.000 Mark — das Setting für eine gepflegte Ausländerfeindlichkeit. Erdbebenartige Erschütterungen löste bei den BewohnerInnen in Hamburgs wohlanständigem Norden die Nachricht aus, daß auch auf dem weitläufigen Gelände der Grundschule „Am Walde“ über den Winter Container aufgestellt werden sollten.
Boykott, Blockade, Klagen
Es folgten: Boykott, Blockade, Klagen vor dem Verwaltungsgericht. „Aus pädagogischen Gründen“, erläutert der Elternratsvorsitzende. In Wahrheit klingen jedoch Vorurteile und Angst durch. Vor „Diebstahl“, vor „Rauschgiftdealern“, auch davor, daß die Ohlstedter Grundschule zum Ziel rechtsradikaler Angriffe wird. Deutlichere Worte folgten in der elterlichen Begründung des Antrags auf einstweilige Anordnung: „Gefahr für Gesundheit und Eigentum“. Und der Schulleiter wird nicht müde zu betonen: „Wir sind keine Ausländerfeinde.“ „Wo die Volksseele kocht“ titelt das sonst eher betuliche Hamburger Abendblatt. Doch Rostock zeigt nicht überall Wirkung. Auch in Hamburg-Stellingen soll ein Containerdorf auf einem Schulhof gebaut werden. Auch dort sind die Eltern der örtlichen Gesamtschule über die Senatsentscheidung „nicht glücklich“, aber: „Wir sehen ein, daß das ein Notfall ist“, sagt der Elternratsvorsitzende Jens Kastner. „Und wir wollen das Beste daraus machen.“ Lehrer, Schüler, Familien planen in Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinden ein Integrationsprogramm für die Asylbewerber.
Was zur selben Zeit in Ohlstedt geschieht, hält der Stellinger Schulleiter Holger Radtke „für politische Brandstiftung, aber der feinen Art“. Auch der Elternrat fand am Mittwoch in einem offenen Brief an die Eltern der Ohlstedter Grundschule deutliche Worte: „Mit ihrer Aktion zum ,Schutz unserer Kinder‘ gießen Sie Öl in die Flammen der Ausländerfeindlichkeit.“ Schlecht sei doch nicht die Konfrontation der Kinder mit Flüchtlingen, so argumentierten sie gegen die Ohlstedter, sondern daß die Kinder in eine Atmosphäre von Mißtrauen und Ausgrenzung Fremden gegenüber hineinwüchsen.
Trotz aller Mahnungen: der Schulhof der Grundschule „Am Walde“ blieb ausländerfrei. Einen Ausweg aus der eskalierten Situation bot der Schulleiter des nahegelegenen Gymnasiums. Er bot seinen Schulparkplatz als Übergangsstellfläche an. Ein couragierter Vorstoß, den die GymnasiastInnen mit Beifall quittierten. Ihnen hatte die Fremdenfeindlichkeit ihres Viertels bleischwer im Magen gelegen.
Doch die SchülerInnen hatten die Rechnung nicht mit ihren Eltern gemacht. Am Dienstag: ein erneuter Schock für die Sozialbehörde. Eltern des Gymnasiums reichten eine einstweilige Anordnung beim Verwaltungsgericht ein. Einer der aufgeführten Gründe: die SchülerInnen seien auf den Umgang mit Asylbewerbern nicht vorbereitet worden, sie hätten keine Umgangsregeln an die Hand bekommen. Die Richter lehnten den Antrag der Eltern am Mittwoch nachmittag ab. Doch nur bis zum 18. Oktober dürfen die Container auf dem Schulhof stehen bleiben— glücklicherweise kein Problem, da schon in etwa vier Wochen ein Umzug auf ein anderes Privatgelände möglich ist.
Donnerstag morgen — erster Vorhang für den Schlußakt: Blumen in den Containern, selbstgebackener Kuchen zum Empfang, junge Mädchen, die Flüchtlinge von der Bahn zu ihrer neuen Behausung geleiten. Menschliches Lehrstück von SchülerInnen für Eltern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen